Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
Mann kennenlernte, waren schon zwei Jahre vergangen. Da dürfte sich kaum noch jemand an den Überfall, geschweige denn an Fotos von Schmuckstücken erinnert haben. Gerda konnte bei einem Hehler ganz anders über Preise verhandeln. Vielleicht fuhr sie mit ihrem neuen Freund nach Amsterdam und kassierte dort. Anschließend kündigte sie ihre Stelle in der Disco, jetzt war sie ja reich. Schramm saß noch einige Jahre auf Nummer sicher. Aber sein erster Weg nach der Entlassung dürfte zu ihr geführt haben.»
    Offenbar konnte Dorothea dieser Theorie doch etwas abgewinnen. Sie entließ noch ein Rauchwölkchen in die Nacht und meinte: «Vorausgesetzt, er kannte ihre neue Adresse. Wenn sie ein Verhältnis hatten, kann ich mir kaum vorstellen, dass Gerda ihn eingeweiht hat, als sie ihren Mann kennenlernte. Darüber dürfte Schramm nämlich nicht erfreut gewesen sein.»
    «Wieso nicht?», fragte Edmund. «Gerda hatte schon zwei Kinder. Meinst du, Schramm hätte mit ihr ernste Absichten gehabt?»
    «Jetzt widersprichst du dir selbst», triumphierte Dorothea. «Eben war Patrizia noch für beide der Schlüssel zum großen Reichtum. Und jetzt …»
    «Wo ist da ein Widerspruch?», unterbrach Edmund sie. «Gerda hatte Schulden, da dürfte auch ein kleines Stück vom großen Kuchen viel Geld gewesen sein. Und Schramm wird ihr kaum gesagt haben, dass sie für ihn genauso nur ein Mittel zum Zweck ist wie Patrizia. Wenn sie sich nach geraumer Zeit getraut hat, ihm von ihrer neuen Liebe zu berichten, wird er großmütig Verzicht geübt haben.»
    Edmund stellte sich das so vor, dass Schramm Gerda etwas Honig ums Maul geschmiert, Verständnis für ihre Situation und ihre neue Liebe geheuchelt und ihr einen kleinen Anteil zugestanden hatte.
    «Oder sie hat ihn nicht informiert und das Geld behalten», meinte Dorothea. «Wer nicht weiter denkt, als seine Nasenspitze reicht, für den sind vier oder fünf Jahre eine lange Zeit. Vielleicht weiß sie noch gar nicht, dass er wieder draußen ist.»

    Es war grausam, reglos auf dem Stuhl zu sitzen wie eine Blinde. Nicht einmal auf die Uhr schauen konnte sie. Sie versuchte mit Zählen abzuschätzen, wie die Zeit verging. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig.
    Was Ed wohl gerade machte? Ob er sie verfluchte für ihre Dummheit, seine Pistole mitzunehmen? Nein, er würde bestimmt denken, Heiko hätte die Waffe, was nun wohl auch der Fall war. Achtundfünfzig, neunundfünfzig, sechzig!
    Die Minuten zählte sie mit den Fingern nach, bemühte sich, die Bilder vom blutbespritzten Holzfußboden im Ferienhäuschen aus ihrem Hirn zu verbannen und sich stattdessen das Ehepaar in seinem Schlafzimmer da oben vorzustellen.
    Irgendwo im Haus knackte es vernehmlich. Sie zuckte zusammen wie von einer Peitsche getroffen. Möglicherweise hatte sie sich verzählt, und es war bereits eine halbe Stunde vergangen, seit der Dicke den Fernseher ausgemacht hatte.
    Der Stuhl verursachte ein Geräusch wie von einer Luftpumpe, wenn sie sich hinsetzte oder wieder aufstand. Es lag an der Mechanik oder Hydraulik oder wie immer man das nannte. Es war einer von den Bürostühlen, die man in der Höhe verstellen konnte.
    Das Feuerzeug lag bei der Esse. Sie hatte vergessen, es einzustecken, stützte sich mit beiden Händen auf dem Stuhlsitz ab und stemmte sich ganz langsam in die Höhe. Als sie ihr Gewicht auf die Füße verlagerte, knirschte es leise, nicht in ihren Gelenken, nur auf dem Fußboden. Dann stand sie, die Hände immer noch am Stuhlsitz. Langsam loslassen, ganz langsam, wie in Zeitlupe. Und den ersten Schritt nach vorne tun.
    Obwohl sie genau wusste, dass nichts im Weg liegen konnte, hob sie den Fuß nicht an, sondern schob ihn langsam vor, zog den zweiten nach. Die Hände hielt sie weit vorgestreckt. Nur nirgendwo anstoßen.
    Es dauerte eine Ewigkeit, ehe ihre Fingerspitzen gegen eine Kante der Esse stießen. Sie tastete behutsam herum, zuerst nur mit einer Hand. Mit der anderen hielt sie sich fest, als brauche sie in der Finsternis einen Halt. Das Feuerzeug hatte links auf dem Rand gelegen, als sie es zuletzt gesehen hatte. Deshalb tastete sie vom Rand her nach innen, damit es nur ja nicht zu Boden fiel. Schließlich nahm sie doch die zweite Hand zu Hilfe und hatte das Gefühl, ihr Kopf würde platzen von der Stille.
    Endlich! Ihre rechte Hand schloss sich um das kleine Plastikding. Erleichtert atmete sie durch, machte mit der ausgestreckten linken Hand einen Schritt zur Seite und noch einen, bis sie

Weitere Kostenlose Bücher