Hörig (German Edition)
den Eingang der Disco zuging, fühlte er sich etwas ruhiger als in den vergangenen Stunden. Immerhin hatte Patrizia eine Waffe bei sich. Das bedeutete, sie konnte sich im Notfall wehren.
Der Gedanke, dass Schramm mit ihr im Schlafzimmer gewesen war und die Pistole ebenso gut an sich genommen haben konnte, tauchte zwar einmal auf, hielt sich aber nicht lange. Es war jetzt nicht die Zeit für weitere Schreckensvisionen.
Dorothea machte mit eisiger Miene deutlich, dass sie nicht daran dachte, noch einmal die Führung zu übernehmen. Vielleicht war sie beleidigt, weil sie nicht selbst darauf gekommen war, dass Gerda nicht nur Schramms Geliebte, sondern auch seine Komplizin gewesen sein konnte. Dass Schramm diese langjährige Haft auf sich genommen hatte, weil Gerda möglicherweise Privatinsolvenz anmelden wollte, um bei seiner Entlassung schuldenfrei zu sein und mit dem Erlös aus dem Verkauf der Beute einen neuen Anfang zu machen, ohne noch Gläubiger auf den Fersen zu haben, die schlimmer sein konnten als eine Horde Polizisten.
Edmund fand, diese Theorie habe einiges für sich. Aber wenn man Dorothea eine naheliegende Schlussfolgerung auf dem Silbertablett servierte, fühlte sie sich als dämlich gebrandmarkt.
«Glaubst du wirklich, dass einer wie Schramm sich Gedanken um eine Privatinsolvenz macht?», wollte sie wissen.
Wahrscheinlich passte es ihr nicht, dass er wieder den Psychologen herauskehrte und Leute be- und verurteilte, die er gar nicht persönlich kannte. Es interessierte ihn nicht. Jetzt war jedenfalls er an der Reihe. Und er hatte wider Erwarten Glück.
Ein paar Fragen an der Bar, ein paar weitere im Büro des Geschäftsführers. Wie Edmund es erwartete, arbeitete Gerda längst nicht mehr in der Disco. Sie hatte vor fünf Jahren gekündigt – und vor vier Jahren geheiratet.
An der Stelle fing Edmund einen triumphierenden Blick seiner Schwägerin auf.
Noch ein Irrtum, Eddi
. Er kümmerte sich nicht darum, hörte weiter dem Geschäftsführer zu.
Manchmal kam Gerda am Wochenende als Gast vorbei, zusammen mit ihrem Mann. Winzen hieß sie jetzt. Sogar ihre Adresse war dem Geschäftsführer bekannt. Aber die so einfach zu nennen, weil zwei Leute, die er zum ersten Mal sah und die ihm nicht erklärten, warum sie sich für Gerda interessierten, die nur behaupteten, es sei ungeheuer wichtig, lebenswichtig sozusagen … Er zierte sich.
Edmund gab sich kurzerhand als psychologischer Sachverständiger aus und ernannte Dorothea zur Bewährungshelferin. Dann erläuterte er die Situation. Es ging um einen soeben aus der Haft entlassenen, psychisch schwer gestörten Mann, der unbedingt in Sicherheitsverwahrung gehört hätte. Aber die deutschen Gerichte hatten sich ja dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes gebeugt. Damals hatte dieser Mann jedenfalls gedroht, alle umzubringen, die zu seiner Verurteilung beigetragen hatten. Ganz unbeteiligt daran war Gerda nicht gewesen. Die Polizei nahm die Lage nicht ernst, das kannte man ja auch zur Genüge. Die wurden immer erst aktiv, wenn etwas passiert war. Aber man konnte doch nicht tatenlos zusehen, man musste die Frau wenigstens warnen.
Er bekam die Adresse.
Inzwischen war es nach elf. Und Dorothea, die am späten Nachmittag so versessen darauf gewesen war, alle Hebel in Bewegung zu setzen, hielt es plötzlich für zwecklos, Gerda Winzen jetzt noch einen Besuch abzustatten. «Sei vernünftig, Eddi, lass uns heimfahren. Du glaubst doch nicht, dass du auch nur ein Wort aus dieser Frau herausbringst, wenn du sie mitten in der Nacht aus dem Bett klingelst und nach Schramm fragst. Womöglich steht ihr Mann direkt daneben, da wird sie dir natürlich gerne Auskunft über einen früheren Liebhaber geben.»
«Bis mitten in der Nacht dauert es noch ein Weilchen», belehrte Edmund sie. «Es ist Freitagabend, da gehen die Leute nicht so früh ins Bett. Und dass Schramm mehr war als ihr Liebhaber, hatten wir doch schon geklärt, oder nicht? Sie war damals eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern, die sich bereitwillig vor den Karren eines Dealers spannen ließ. Sie hat die Beute aus dem Überfall zur Aufbewahrung in Empfang genommen, darauf verwette ich meinen Kopf.»
«Und jetzt ist sie genauso verheiratet wie Patty», sagte Dorothea, kramte noch einmal die Zigaretten aus der Tasche, ließ aber auch wieder die Seitenscheibe herunter.
Nachdem sie die ersten Rauchwölkchen ins Freie gepustet hatte, spann Edmund seinen Faden weiter, weil von ihr nichts kam: «Als Gerda ihren
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