Hoffnung am Horizont (German Edition)
Tür und schloss sie hinter sich.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Er erwartete, dass Sadie sich umdrehen würde, wenn sie hörte, dass die Tür ins Schloss fiel.
Aber sie drehte sich nicht um.
Eine Petroleumlampe auf einem Tisch beleuchtete das fensterlose Zimmer und warf lange Schatten in die vier kahlen Ecken. Die einzigen Möbelstücke waren eine geschlossene Truhe, neben der Sadie stand, und das Bett.
„Welche Wünsche haben Sie, Sir?“
Ihre Stimme überraschte ihn. Sie klang kultiviert, feminin und überhaupt nicht mädchenhaft. Er musste an Lilly Carlson denken. Sadie war ungefähr in Lillys Alter gewesen, als sie ins Bordell in Willow Springs gekommen war. Als er Lillys Unschuld und kindliche Unbeschwertheit mit der erdrückenden Schwermut, die diesen Raum beherrschte, verglich, wurde ihm plötzlich übel.
Er sprach betont leise und wiederholte Wort für Wort, was Annabelle ihm zu sagen aufgetragen hatte. „Ich bin nicht hier, um mich zu amüsieren. Ich werde dich nicht anrühren. Ich werde dir nicht wehtun. Darauf gebe ich dir mein Wort.“
Langsam drehte sich das Mädchen um. Ihre Bewegungen waren so beherrscht, so langsam, dass sich das rote Kleid, das sie trug, kaum um ihre Knöchel bewegte. „Wofür haben Sie dann Geld bezahlt?“
Matthew trat einen Schritt vor. Sadie rührte sich nicht, aber er spürte ihre Abscheu. Sie strahlte sie förmlich aus, genauso wie das Misstrauen, das aus ihren dunklen Augen sprach. Es waren die Augen einer Frau im Gesicht eines Kindes. Ihm wurde schwer ums Herz. „Ich muss dir etwas sagen, und du musst mir vertrauen … Sadie.“
Er wartete auf eine Reaktion, aber ihre Miene blieb abweisend.
„Annabelle hat mich zu dir geschickt. Sie ist mit mir in der Stadt.“
Sadies Blick wanderte suchend über seine Schulter.
Annabelle hatte ihn gewarnt, dass sie ihm nicht trauen würde. Es war gut möglich, dass die Männer, die sie aus Willow Springs entführt hatten, sie mit ähnlichen Worten getäuscht hatten. Er sprach schnell weiter, da er wusste, dass seine Zeit knapp bemessen war. „Wir haben erfahren, dass Boyd dich irgendwann heute Nacht wieder von hier wegbringt, und wir haben hoffentlich eine Gelegenheit, dich von ihm fortzuholen. Auf uns wartet ein Wagen. Gleich hinter dem Gebäude. Du kannst ein neues Leben haben, Sadie. Du kannst neu anfangen, genauso wie Annabelle es getan hat. Sie wird bei dir sein und dir helfen.“
Sadie legte den Kopf zur Seite und zog eine Braue in die Höhe. Diese Geste kam ihm vage bekannt vor. „Ich kenne Sie nicht, und ich habe keinen Grund, Ihnen zu glauben. In meinen Augen sind Sie kein anderer Mann als Boyd.“
Matthew nahm ihren Vergleich nicht persönlich. „Aber ich bin anders, Sadie. Ich bin ganz anders. Ich werde dir nicht das antun, was er dir angetan hat.“
Sie antwortete in einer Sprache, die er noch nie gehört hatte.
Aber auch wenn er die Worte nicht verstand, entging ihm ihre kühle Art nicht. Wenigstens hatte er ihr überhaupt eine Reaktion entlocken können.
Er hob eine Hand. „Ich kann dir beweisen, dass Annabelle mich geschickt hat.“
„Ich werde nicht …“
„Du hast Annabelle in Willow Springs kennengelernt. Sie hat mir erzählt, wie du ins Bordell kamst. Du warst damals elf. Du hattest in den ersten Tagen, die du dort warst, Angst und hast deshalb bei ihr im Bett geschlafen. Ihr seid gute Freudinnen geworden. Sie hat auf dich aufgepasst, so gut sie konnte, aber sie konnte nicht die ganze Zeit bei dir sein. Wie in jener Nacht, als du auf der Ranch, auf Casaroja, verletzt wurdest. Sie hat sich dafür verantwortlich gefühlt, Sadie. Sie fühlt sich immer noch dafür verantwortlich.“
Sie deutete mit dem Kopf zur Tür. „Ihre Zeit ist vorbei, Mister.“
Es hatte noch nicht geklopft. Sie versuchte nur, ihn loszuwerden. Matthew trat einen Schritt näher. „Du warst bei Larsons und Kathryns Hochzeit. Du hast damals den kleinen William gehalten. Er hat viel geweint. Du sagtest, er habe die Augen seines Vaters. Annabelle gab dir recht, meinte aber, dass er den Dickkopf seiner Mutter habe.“
Sadie ging zur Tür und machte sie auf.
Aus einem Impuls heraus griff Matthew hinter sich, schlug die Tür zu und hielt dann die Hand auf dem Türgriff. Das lief nicht so, wie Annabelle vorhergesagt hatte. Aber er konnte dieses Kind nicht hier lassen. Sonst könnte er Annabelle nie wieder unter die Augen treten. Er war betroffen, als er feststellte, wie klein Sadie war und wie viel Schmerz ein erwachsener
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