Hoffnung am Horizont (German Edition)
um den Mann auch körperlich zu begraben.
Annabelles Gesicht spiegelte gleichzeitig Schock und Mitgefühl wider, und auch Sadie zeigte sich erschüttert. Matthew drehte sich zu Shannon um. „Johnny hat gesagt, unser Vater wäre tot.“
„Johnny. Johnny …“ Sein Vater murmelte den Namen, als versuche er sich zu erinnern, wer Johnny war.
Haymen Taylors braune Augen waren schwächer, als Matthew sie in Erinnerung hatte, und ihnen fehlte ihre gewohnte Härte. Sein Vater hob die Hand und Matthew biss instinktiv die Zähne zusammen. Wie oft hatte er vor Angst den Kopf eingezogen, wenn die Hand dieses Mannes gegen ihn gerichtet gewesen war?
Der Mann fuhr mit einer zittrigen Hand über Matthews unrasierte Wange. „Bist du Johnny?“
Matthew sah Shannon kurz an und wartete auf eine Erklärung, aber sie schüttelte nur den Kopf. Tränen standen in ihren Augen.
Er räusperte sich, und auch seine Augen füllten sich mit Tränen. „Nein, Sir, ich bin nicht Johnny. Ich bin … ich bin Matthew.“
Sein Vater sah ihn lange an, und Matthew wartete darauf, dass der Gesichtsausdruck des Mannes verraten würde, dass er ihn erkannte. Ihm graute vor diesem Moment, denn er wusste, was er dann sehen würde: die bekannte Enttäuschung und eine neuerliche Erinnerung daran, was für ein Versager er in den Augen seines Vaters gewesen war.
Haymen Taylors fragender Gesichtsausdruck wurde weicher. Er lächelte freundlich und tätschelte Matthews Brust. „Nun … du siehst aus wie ein guter Junge.“
Matthew war so verblüfft, dass ihm keine Antwort einfiel.
Sein Vater wandte sich wieder zur Tür. Als Shannon nickte, ließ Matthew den schwachen alten Mann los.
„Wir könnten doch alle hineingehen und sehen, was …“ Sein Vater brach ab und seine Stirn legte sich nachdenklich in Falten.
„Shannon …“, half ihm die Frau freundlich auf die Sprünge.
„Ach, ja. Was Shannon uns zum Abendessen gekocht hat.“
Er schlurfte wieder hinein. Seine Schritte waren langsam und vorsichtig. Er ließ die Tür weit offen stehen.
Shannon ließ Matthews Vater nicht aus den Augen, als dieser ins Haus trat, und legte Matthew eine Hand auf den Arm. „Was auch immer Mr McCutchens Ihnen gesagt hat, Mr Taylor, er hatte recht, als er sagte, dass Ihr Vater nicht mehr da ist. Er ist zwar nicht gestorben, aber vor ungefähr zwei Jahren hat er uns trotzdem endgültig verlassen. Und seitdem wohnt dieser freundliche alte Herr bei uns.“
Matthew hörte ihr zu und hatte immer noch Mühe zu begreifen, dass sein Vater noch am Leben war. Und dass er sich so radikal verändert hatte.
Annabelle stieg mit Sadie die Verandastufen hinauf. „Wann hat das angefangen?“
„Ich komme seit ungefähr fünf Jahren hierher, um bei der Pflege Ihres Schwiegervaters zu helfen. Er litt damals schon unter Gedächtnisverlusten. Mr Taylor erzählte mehrmals hintereinander das Gleiche. Er stellte dieselben Fragen immer wieder. Er konnte sich an keine Daten und keine Menschen mehr erinnern, und einmal verirrte er sich auf dem Gelände. Gott sei Dank fanden wir ihn unverletzt unten am Fluss. Mit der Zeit wurde er argwöhnischer und gereizter. Er begann Dinge zu sehen und zu hören, die nicht da waren.“ Sie sah wieder besorgt durch die offene Tür nach dem alten Mann. „Es wurde nach und nach schlimmer, bis er sich nicht mehr selbst anziehen und nicht mehr allein essen konnte. Und auch seine anderen Dinge nicht mehr selbst erledigen konnte“, fügte sie leise hinzu. „Es wurde mehr, als Ihr Bruder in den Stunden, in denen ich nicht da war, bewältigen konnte. Deshalb bat er mich, ganz auf die Ranch zu ziehen und mich rund um die Uhr um Mr Taylor zu kümmern.“
Matthew drehte sich um und sah, dass sein Vater im Flur stand und ein Bild an der Wand betrachtete. Er konnte kaum glauben, dass Johnny sich, nach allem, was dieser Mann ihm angetan hatte, so sehr um Haymen Taylor gekümmert hatte. Als Jungen hatten sie unentwegt von dem Tag gesprochen, an dem sie den alten Mann endlich verlassen könnten.
Aber Johnny hatte das nie getan.
„Ihr Bruder war ein guter Mann, Mr Taylor. Einem großzügigeren Menschen bin ich nie begegnet.“ Sie schwieg einen Moment. „Ein Teil dieser … Krankheit, die Ihr Vater hat, veranlasste ihn, viel zu reden. Er sprach stundenlang über die Vergangenheit, über Ihre Mutter und über Sie beide als Jungen. Meistens ergab das, was er sagte, nicht viel Sinn.“ Sie senkte kurz den Blick, dann sah sie Matthew wieder an. „Aber an anderen
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