Hoffnung am Horizont (German Edition)
Der Geruch nach Heu und Mist, der sich mit der kühlen Abendluft vermischte, erinnerte ihn an die Ranch der Jennings ’ in Colorado.
Er schätzte, dass ihnen noch ungefähr eine halbe Stunde Tageslicht blieb. Dann würde es immer noch eine Weile dauern, bis das Dämmerlicht im Westen völlig der Dunkelheit wich. Es störte ihn natürlich nicht, mit Annabelle im Dunkeln zu sein. Fast war er versucht, sich mit ihr eine Weile zu „verirren“, nur um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können.
„Findest du auch wieder zurück?“ Ein leichtes Funkeln trat in ihre Augen, so als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Er tat, als verletze ihn ihre Bemerkung. „Haben wir uns auf den letzten fünfzehnhundert Kilometern verirrt?“
Sie lachte. „Nein, das haben wir nicht. Aber ich habe in den letzten Wochen ziemlich gut gelernt, deinen Gesichtsausdruck zu deuten.“
Er verlangsamte lächelnd seine Schritte und blieb dann stehen. „Okay, dann sag mir doch, was du gerade darin gelesen hast.“
Sie hob die Hand und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. „Ich sehe einen Mann, der mit jahrelanger Bitterkeit und Verletzungen kämpft, der unbeantwortete Fragen hat und weiß, dass sie vielleicht nie beantwortet werden. Ich sehe einen Mann, der in seinem Leben Fehler gemacht hat – keine größeren Fehler als andere Menschen – und der das alles liebend gern loslassen würde. Aber er weiß nicht wie.“
Matthew atmete die Luft aus, die er in den letzten Sekunden angehalten hatte. Er hatte eine weitaus weniger ernste Antwort erwartet. „Könntest du das nächste Mal vielleicht ein bisschen ehrlicher sein? Sag ruhig, was du denkst.“
Annabelle lächelte ihm vielsagend zu.
Er deutete zu einem Felsen, der aus der Seite eines Hügels ragte, dann sprang er hinauf, beugte sich nach unten und zog sie neben sich auf den breiten, flachen Felsen.
Sie setzte sich, streckte die Beine aus, legte ihren Rock um sich und lehnte sich zurück, um die Aussicht zu genießen. Er machte es sich neben ihr gemütlich. Einige Minuten saßen sie schweigend nebeneinander.
Sie hatte recht. In ihm hatten sich die Fragen von Jahren angestaut, und er brauchte Antworten. Er wollte, dass sein Vater sich dafür entschuldigte, was er ihnen angetan hatte. Dafür, dass er Johnny geschlagen hatte. Dass er ihrer Mutter das Leben so schwer gemacht hatte. Dass er übertrieben streng gewesen war und seinem jüngsten Sohn eine unerträgliche Last an Erwartungen aufgebürdet hatte. Eine Last, die ihn in vielerlei Hinsicht verkrüppelt hatte. Und dass er zu Hause nicht das gelebt hatte, was er Jahr für Jahr so unerbittlich von der Kanzel gepredigt hatte.
„Weißt du, Matthew, dass es eine Frage gibt, die du mir nie gestellt hast? Ich habe immer damit gerechnet, dass du es irgendwann ansprechen würdest.“ Annabelle zögerte und starrte auf die Prärie hinaus, ohne ihn anzusehen.
Er wusste, welche Frage sie meinte, aber irgendwann hatte die Antwort auf diese Frage für ihn an Bedeutung verloren. Dafür hatte die Frau, die sie geworden war, für ihn sehr an Bedeutung gewonnen. „Wie du im Bordell gelandet bist?“
Sie nickte.
„Das habe ich m ich oft gefragt. Besonders am Anfang. Aber nach dem Abend im Saloon in Parkston begriff ich, dass du dir dieses Leben nie freiwillig ausgesucht hättest. Als du mir dann von Sadie erzähltest …“ Er brach ab, da er den Ge danken, der sich in ihm regte, nicht laut aussprechen wollte. Er hatte Angst, was sie ihm dann vielleicht offenbaren würde. „… war ich so wütend … war mir so übel, dass ich mir einfach nicht ausmalen wollte, dass dir etwas Ähnliches passiert sein könnte.“ Und er betete auch jetzt, dass es nicht so gewesen war.
Obwohl sie sich keinen Millimeter bewegte, fühlte er, dass sie sich innerlich vor ihm zurückzog. Und in diesem Moment wusste er die Wahrheit.
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Sie begann, ihre Geschichte zu erzählen. Nach kurzer Zeit wandte er sich ab, damit sie seine Reaktion nicht sehen konnte.
„… am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, zog sich eine ungefähr ein Kilometer lange Schneise über die Erde, wo die Büffel den Boden aufgewühlt hatten. Ich durfte nicht einmal die Toten sehen.“ Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. Sie konnte einen Moment lang nicht weitersprechen. „Man sagte mir nur, dass meine Eltern und Alice tot seien. Zwölf Menschen waren in dieser Nacht totgetrampelt worden. Eine andere Familie in dem Treck nahm mich auf. Ich
Weitere Kostenlose Bücher