Hoffnung am Horizont
zerstörte
mutwillig Sachen, außerdem war ich ihnen zu schlau. Ich habe ja nie etwas
anderes gemacht, als zu lernen, so ohne Freunde. Ich war meinen Klassenkameraden
immer deutlich voraus und übersprang im Laufe der Zeit zwei Klassen. Die
Pflegeeltern waren alle total überfordert und nach fünf verschiedenen Pflegefamilien
und drei Kinderheimen war ich sechzehn. Aufgrund meiner Noten und den beiden
übersprungenen Klassen, wurde ich zum Studium zugelassen. Finanziell war ich
abgesichert, mein Vater war ein reicher Mann und ich die einzige Erbin. Ich
wollte das Geld nicht anrühren und opferte nur das Nötigste für meine
Ausbildung. Dann lernte ich Annie und Chris kennen. Gleich am ersten Tag am
College wurde ich von den Mitschülern drangsaliert. Die kleine, dicke,
Rothaarige und noch dazu so viel jünger. Die beiden sahen, wie ich herum geschubst
wurde und versuchte mich mit Händen und Füßen zu wehren. Ich habe wohl gekämpft
wie ein Löwe und erst aufgehört, als Chris mich festgehalten hat. Annie hatte
noch keine Mitbewohnerin, und so kam ich zu ihr. Bis heute sind Annie und Chris
die Einzigen, die das Alles wissen, sie sind seit dem Tag meine Familie.“
„Es tut mir so leid,
Jules!“ Gabes Stimme ist rau und voller Emotionen. „Hat denn niemals jemand
gemerkt, was bei dir zu Hause los war? Zumindest deine Lehrer müssten doch
etwas mitbekommen haben.“
„Scheinbar nicht. Oder es
hat sie nicht interessiert. Ich war schon immer ziemlich ungeschickt und, wie
Annie immer sagt, unfallgefährdet. Ich bin ständig über meine eigenen Füße
gestolpert, Treppen heruntergefallen, habe mir an jeder Tischecke blaue Flecken
geholt, im Sportunterricht den Ball ins Gesicht bekommen und so etwas. Es war
für die Lehrer vielleicht einfach ein gewohntes Bild. Die schusselige Jules,
ständig irgendwie angeschlagen. Naja, hat sich ja bis heute nicht wirklich geändert.
Meine Schulter an der Hauswand, beim Joggen im Wald über eine Wurzel fallen…“
Wir müssen beide lachen,
aber es klingt eher gequält. Gabe umfasst mein Kinn und hebt mein Gesicht zu
sich hoch. Forschend schaut er mir in die Augen, als würde er nach irgendetwas
suchen. Sein Blick ist so unendlich traurig, dass ich das Gefühl habe, ihn
beruhigen zu müssen.
„Hey, eigentlich bin ich
darüber hinweg. Ich habe artig meine Therapie gemacht und alles verarbeitet.
Dachte ich zumindest. Ich habe mein Leben im Griff und wenn ich irgendwann Mr.
Right treffe und doch noch Kinder haben will, kann ich immer noch adoptieren.“
Er nickt zwar, aber ich
sehe ihm an, dass er mir nicht so recht glaubt. Wie sollte er auch, nach dem
Zusammenbruch… Einen Moment schweigt er wieder, lässt meine Worte sacken und
scheint darüber nachzudenken, bevor er wieder spricht.
„Ich kann mir gar nicht
vorstellen, wie es ist, ohne Familie aufzuwachsen. Ohne Freunde und Leute, von
denen du weißt, dass du dich immer auf sie verlassen kannst und denen du alles
bedeutest. Meine Familie ist sicher auch manchmal anstrengend, aber ich weiß
immer, dass sie mich lieben und ich kann jederzeit zu ihnen kommen, egal, was
ist.“
„Erzähl mir von deiner
Familie Gabe. Du hast nur gesagt, du hast eine Schwester.“
„Das stimmt. Meine Eltern
wohnen in New Jersey, in Hartford. Sie sind seit 35 Jahren verheiratet und man
spürt immer, wie sehr sie sich lieben und wie sehr sie auch uns lieben.
Manchmal schicken sie mir immer noch „Carepakete“ mit meinen liebsten
Süßigkeiten und Socken und so was, als würden sie denken, dass ich nicht allein
klarkomme. Mein kleiner Bruder Nash ist unser Küken. Er ist 18 und hat gerade
die Highschool fertig und ist auf dem College. Er will Betriebswirt werden. Ich
kann mir nicht vorstellen, wie jemand so etwas freiwillig macht, aber er hatte
immer schon ein Händchen für Zahlen. Ich glaube, er fühlt sich wohl, aber er
wohnt jetzt in L.A. und das ist so wahnsinnig weit weg. Ich vermisse ihn sehr.
Ja, und dann ist da noch Kathy, meine Schwester. Sie ist 27 und hat gerade
geheiratet. Als wir uns am Flughafen das erste Mal getroffen haben, kam ich
gerade von ihrer Hochzeit. Es ist schwer für mich, zu wissen, dass meine kleine
Schwester jetzt groß ist und dabei, eine eigene Familie zu gründen. Du hast sie
glaub ich mal gesehen, sie war im Herbst zu Besuch hier. Am Strand, als du mit
Walton unterwegs warst. Groß, schlank, dunkle Haare. Ich hatte dich gerufen und
wollte euch vorstellen, aber du hast mich scheinbar nicht gehört.“
Das war
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