Hoffnung am Horizont
soll.
„Sie ist mit Lilly
einkaufen und hat ihr Handy vergessen. Also, wie geht es dir?“
„Es geht mir gut, Colin.“
Ich höre selbst, wie
unglaubwürdig ich mich anhöre. Meine Stimme ist heiser, die Worte klingen
gepresst. Dieser Kloß hält sich hartnäckig, mein Hals schmerzt und meine
Stimmbänder knarzen, so lange habe ich sie nicht gebraucht.
„Nein Jules, es geht dir
nicht gut. Das höre ich doch. Und…“
Er macht eine Pause, als
müsste er seine nächsten Worte genau abwägen.
„Gabe geht es auch nicht
gut. Jules, ich weiß nicht, was zwischen euch beiden vorgefallen ist, aber er
geht hier fast die Wände hoch. In den letzten Tagen hat er alle Krankenhäuser
durchtelefoniert, weil er sich solche Sorgen um dich macht. Er schläft nicht,
er isst nicht, täglich ruft er mehrfach an oder kommt vorbei, um zu hören, ob
wir irgendetwas von dir wissen. Ich habe ihn noch nie so erlebt, und ich kenne
ihn wirklich schon lange. Nicht einmal nach der Trennung von Danielle war er so
drauf wie jetzt. Bitte, Jules! Rede mit ihm!“
Auf einmal kommen mir doch
die Tränen, auf die ich seit Tagen warte. Ich schlucke heftig dagegen an,
gerade jetzt kann ich sie so gar nicht brauchen. Nicht, wenn Colin mich am
anderen Ende hört. Ich schweige und schlucke, bis ich glaube, dass meine Stimme
mir wieder halbwegs gehorcht.
„Ich will nicht mit ihm
reden, Colin. Von mir aus sag ihm, dass es mir gut geht, aber mehr bitte nicht.
Ich möchte nicht, dass er hier auftaucht, das würde ich nicht ertragen. Bitte,
Colin!“, flehe ich eindringlich. Einen Moment herrscht Stille, dann höre ich
Colins Stimme, ganz leise und mit so viel Mitgefühl.
„So schlimm?“
Diese zwei Worte reichen
aus und bei mir brechen alle Dämme.
„Ja!“, bringe ich nur noch
heraus, während die ersten Tränen über meine Wangen laufen, dann lege ich auf. Das
Handy fällt mir aus der Hand, landet scheppernd irgendwo auf dem Küchentisch,
an dem ich sitze. Ich bin unfähig noch eine Bewegung zu machen, einen Laut von
mir zu geben. Kein Schluchzer löst sich von meinen Lippen, die Tränen fließen
stumm und unaufhaltsam über mein Gesicht, durchnässen den Kragen meines
Sweatshirts. In dem Moment geht die Wohnungstür auf, Chris ist wieder da. Eine
Sekunde steht er nur da, in der Eingangstür und sieht quer über den Flur bis zu
mir in die Küche. Auf einmal habe ich das Gefühl, überrollt zu werden. Alles
passiert fast gleichzeitig. Die Reisetasche, die Chris in der Hand hatte, fällt
mit einem dumpfen Knall zu Boden, er tritt mit dem Fuß die Wohnungstür hinter
sich zu, ist mit wenigen großen Schritten bei mir. Ich spüre, wie ich vom Stuhl
hochgezogen werde, direkt in Chris´ Arme, wie er sich auf denselben Stuhl
fallen lässt und mich mit sich zieht, auf seinen Schoß. Ich habe das Gefühl, es
ist gerade Bruchteile von Sekunden her, dass ich den Schlüssel im Schloss gehört
habe. Meine Tränen laufen ungehindert weiter, während Chris mich in seinen
Armen wiegt und meinen Rücken streichelt, als wäre ich ein kleines Kind. Er
gibt mir so viel Wärme, Nähe, Trost.
„Ich bin da, Jules. Ich
bin ja da. Es tut mir leid, dass ich dich allein gelassen habe. Ich hätte nicht
gehen dürfen. Niemals! Verdammt, es tut mir so leid! Aber jetzt bin ich hier.
Ich passe auf dich auf, Süße. Lass alles raus, was dich bedrückt.“
Ich weiß nicht, wie lange
er so beruhigend auf mich einflüstert, bis meine Tränen versiegen, aber es ist
dunkel geworden vor dem Fenster, als ich es endlich schaffe, meinen Kopf zu
heben und seinem besorgten Blick zu begegnen.
„Kannst du jetzt darüber
reden? Was ist passiert? Was hat Gabe getan?“
„Wie kommst du darauf,
dass Gabe…“
„Ich kenne dich, Jules.
Und ich weiß, wie Liebeskummer aussieht. Willst du es mir erzählen?“
Zögernd nicke ich und atme
tief durch. Dann erzähle ich endlich, was sich an jenem Abend abgespielt hat.
Es ist spät geworden,
schon nach Mitternacht. Irgendwann sind wir auf die Couch umgezogen und ich
habe mich in eine Decke gewickelt. Mir ist so kalt. Innerlich. Ich fühle mich
leer, ausgebrannt. Nachdem ich Chris endlich alles gesagt habe, was mich so
bedrückt, hat er lange geschwiegen.
Jetzt kommt er mit einem
Glas Whiskey für sich und einem Becher Fencheltee für mich aus der Küche. Ich
lege beide Hände um den warmen Becher, vielleicht wärmt er mich ein bisschen.
Chris nimmt nachdenklich einen Schluck von seinem Drink und lässt die
bernsteinfarbene
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