Hoffnung am Horizont
abwenden. Wir erstarrt sehe ich Gabe ins Gesicht, sehe seine
Leidenschaft in den warmen, braunen Augen, die er mit dieser Frau teilt. Seine
Bewegungen werden schneller, immer wieder sehe ich, wie er zustößt, die Finger
in die weiblichen Hüften unter ihm gekrallt. Von irgendwoher höre ich einen
klagenden, unmenschlichen Laut, wie den einer schreienden Katze. Mein Hals
fühlt sich rau an und ich merke, dass ich es war, die geschrien hat. Wie
betäubt stolpere ich einen Schritt zurück, irgendetwas kracht laut zu Boden. Im
selben Moment, hebt Gabe den Kopf.
Ich weiß nicht, ob er
meinen Schrei gehört hat oder den Tisch, den ich gerade umgestoßen habe, aber
er sieht in meine Richtung und ich meine an seinem Blick zu erkennen, dass er
mich bemerkt hat. Oder zumindest eine Person vor dem Fenster. Sofort hört er
auf sich zu bewegen, steht einen Moment ganz still und starrt in meine
Richtung. Seine Lippen bewegen sich, als würde er etwas sagen, das, über die
laute Musik und die geschlossenen Fenster hinweg, nicht zu mir herausdringt.
Ich sehe, wie er sich aus der Frau zurückzieht und sich nach seiner Hose bückt,
die sich, nur achtlos herunter gezogen, um seine Fußgelenke bauscht, ohne
seinen Blick von mir zu lösen. Plötzlich erwache ich aus meiner Starre. So
schnell ich kann, ziehe ich mich zurück, renne über den Kies, die Einfahrt
entlang und stoppe nicht, bis ich vor meiner Tür stehe. Nur ein Gedanke
beherrscht mich. Weg! Ich muss hier weg! Ich habe keine Ahnung wohin, aber
hier, in diesem kleinen Ort kann ich nicht bleiben. Ich stürme in meine Wohnung
und reiße im Vorbeilaufen eine Reisetasche aus dem Schrank im Flur. Walton
folgt mir hechelnd nach dem Sprint und sieht zu, wie ich wahllos irgendwelche
Klamotten und Waschzeug einpacke und mir den Sack mit Hundefutter schnappe.
Dann pfeife ich nach ihm, schmeiße die Sachen in meinen Wagen und fahre los.
Ich habe noch immer keine Ahnung, wohin, aber ich muss hier weg. Erst auf der
Autobahn sehe ich an den Schildern, dass ich auf dem Weg nach Boston bin. Ich
habe nicht bewusst entschieden, wo ich hinfahre, aber jetzt habe ich ein Ziel.
Chris. Ich fahre zu Chris. Er ist zurzeit der Einzige, zu dem ich gehen kann.
Annie kann ich damit nicht belasten, außerdem kann ich nicht in der gleichen
Stadt bleiben, wie Gabe. Gabe… Mein Hals schnürt sich zu, noch kommen keine
Tränen, aber ich spüre, wie sich der Druck in mir aufbaut. Ich kann jetzt nicht
weinen und ich will es auch nicht. Eisern schlucke ich dagegen an. Das Atmen
fällt mir schwer und ich zwinge meine Lungen, Luft einzusaugen. Ein Schild
zeigt mir, dass ich nur noch zwanzig Meilen vor mir habe. Wie lange bin ich
denn schon unterwegs? Ich weiß es nicht. Ein Blick auf die Uhr am
Armaturenbrett verrät mir, dass es mittlerweile zwei Uhr nachts ist, aber ich
weiß, bei Chris kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit auftauchen.
Endlich parke ich vor
seinem Haus. Ohne meine Tasche zu holen, gehe ich zur Tür und klingele. Es
dauert lange, bis sich darin etwas bewegt, aber irgendwann öffnet sich die Tür
einen Spaltbreit.
„Himmel, Jules! Was machst
du hier? Was ist passiert?“
Schnell werde ich ins Haus
gezogen und Chris hält mich an den Schultern fest und mustert mich prüfend. Ich
kann ihn nur stumm ansehen.
„Süße, sprich doch mit
mir, was ist los?“
„Kann ich ein paar Tage hierbleiben?“
Meine Stimme klingt fremd
in meinen Ohren, so heiser, als würde sie einer anderen gehören. Ja, einer
jahrzehntelangen Kettenraucherin, denke ich in einem Anflug von Sarkasmus.
„Natürlich, komm rein.“
Er zieht mich ins
Wohnzimmer und schiebt mich in einen weichen gemütlichen Sessel. Dann
verschwindet er in der Küche. Ich weiß nicht, wie lange er weg ist, aber er
kommt mit einer dampfenden Teekanne und zwei Bechern zurück, die er neben mir
auf einem Tisch abstellt.
„So, jetzt erzähl aber
mal. Was ist passiert, dass du mitten in der Nacht hier auftauchst?“
Ich schüttele leicht den
Kopf.
„Tut mir leid, dass ich
dich geweckt habe. Geh wieder ins Bett, wenn ich darf, lege ich mich hier auf
das Sofa.“
„Hey, es ist mir egal,
dass du mich geweckt hast. Du darfst mich jederzeit wecken, wenn du mich
brauchst. Ich möchte nur wissen, warum? Ist irgendwas mit dem Baby?“
„Nein, dem Baby geht es
gut. Ich… wollte nur raus aus Boothbay Harbor. Alles okay, ich würde jetzt nur
gerne schlafen.“
Ich sehe an Chris´ Miene,
dass er jedes Wort anzweifelt, er kennt mich zu gut, als
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