HOFFNUNG AUF DAS GROSSE GLÜCK
ausgewählt und begann erneut zu spielen. „Major“, murmelte sie lächelnd, „wissen Sie, ich brauche wirklich niemanden, der die Seiten umblättert.“
Hugo lachte leise. „Danke, Madam. Ich betrachte das als Entlassung.“ Er verbeugte sich höflich und begab sich zur Tür, so schnell es ihm möglich war, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Er wollte für eine Viertelstunde auf die Terrasse hinausgehen, um eine Zigarre zu rauchen. Die Damen waren beschäftigt. Niemand würde ihn vermissen.
Emma war nicht erfreut darüber, ein weiteres Mal mit Mr. Mountjoy tanzen zu müssen. Sie versuchte sich einzureden, dass die Gastgeberin sich nun einmal nicht um einen Gast allein kümmern sollte – doch sie ertappte sich dabei, wie sie jede von Hugos Bewegungen aus den Augenwinkeln verfolgte. Sie war stolz auf ihn – obwohl sie wusste, dass sie kein Recht dazu hatte, denn sie war für ihn nicht einmal eine Freundin. Sie hatte befürchtet, er würde die dumme Miss Mountjoy zurechtweisen, genau wie ihren ebenso dummen Bruder, er indes hatte auf bemerkenswerte Art Haltung bewahrt.
Als sie bemerkte, wie er nach draußen schlüpfte, erinnerte sie sich daran, wie empfindlich er sein konnte. Es überraschte sie nicht, dass er den Mountjoys und dem Tanz entkommen wollte. Während sie mechanisch die Schritte absolvierte, fragte sie sich, ob er wohl vor seiner Verwundung gern getanzt hatte. Sofern dies der Fall gewesen sein sollte, wäre es umso bedauerlicher für ihn. Der arme Hugo.
Nein, kein „armer Hugo“. Sie begann, Mitleid mit ihm zu haben, so wie er sich selbst bemitleidete. Dabei sollte man ihn nicht ermutigen, sich noch weiter in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Wie schlimm seine Verletzungen auch sein mochten, er durfte sich nicht vor der Welt verschließen. Kein echter Freund würde ihm das gestatten. Dass er bereits Fortschritte machte, war nicht zu übersehen, die Treppen bewältigte er schon viel weniger mühsam als zuvor. Gewiss würde er wieder Reiten lernen, genau wie Schießen und Kutschieren – wenn er es nur versuchte. Emma beschloss, Richards Unterstützung einzufordern, damit Hugo sich den Dingen stellte. Gemeinsam konnten sie ihm helfen, wieder der Mann zu werden, der er einst gewesen war.
In diesem Augenblick glaubte Emma zu hören, wie die Vordertür geöffnet wurde. Hugo würde doch nicht gehen? Derart unhöflich würde er sich nicht verhalten. Und außerdem konnte er nicht ohne Jamie und Richard aufbrechen. Nein. Jemand musste gekommen sein.
Emma entschuldigte sich bei Mr. Mountjoy und eilte zum Treppenabsatz. Sie blickte in die Halle hinunter und stellte fest, dass ein Besucher eingetroffen war. Der Fremde lehnte gelassen an dem zierlichen Tischchen mit den gedrechselten Beinen, seine Miene drückte grenzenlose Langeweile aus.
Aber ganz ohne Zweifel war er das schönste Exemplar der männlichen Gattung, das Emma jemals zu Gesicht bekommen hatte.
Sie stand wie betäubt an der Balustrade und konnte die Augen nicht abwenden von den makellosen Zügen des Unbekannten. Dann hörte sie Hugos überraschten Ausruf: „Kit! Was in aller Welt tust du hier?“
Der Neuankömmling zog eine Braue hoch, bewegte sich jedoch sonst um keinen Zoll von der Stelle. „Nun, ich warte darauf, dass mir jemand den Mantel abnimmt“, entgegnete er. „Was dachtest du denn, Bruderherz?“
5. KAPITEL
Emma stand noch immer wie erstarrt an derselben Stelle, als ihr Vater neben ihr auftauchte. Er warf einen Blick in die Halle und eilte dann die Treppe hinab, so schnell sein Gewicht und der enge Schnitt seiner Satinhosen es gestatteten.
Mit ausgestreckten Armen eilte er auf den Besucher zu. „Willkommen, mein Junge, willkommen!“, rief er. „Was führt Sie um diese Zeit hierher? Etwas Wichtiges, nehme ich an.“ Ohne dem jungen Mann die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, wandte sich Sir Edward zu den Dienstbotenräumen. „Godfrey! Wo zum Teufel sind Sie, Mann? Wissen Sie, dass wir Gäste haben?“
Beinahe sofort erschien der Butler auf dem Treppenabsatz neben Emma und schritt ohne jedes Anzeichen von Hast oder Aufregung die Stufen hinunter. Höflich verbeugte er sich vor dem Neuankömmling. „Darf ich Ihnen Ihre Sachen abnehmen, Sir?“
Wie in Trance beobachtete Emma, wie der Gast dem Diener seinen Kutschmantel und den Filzhut überreichte. Bei Sir Edwards Begrüßung hatte er gelächelt, doch schon einen Augenblick später zeigte seine Miene wieder dieselbe matte Geringschätzung wie zuvor. Allem Anschein war
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