Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Leiche vorliegen, um einen Verdächtigen mit der Todesstrafe zu bedrohen, und inzwischen hat man allgemein akzeptiert, dass das Mädchen tot ist.«
Ich starre ihn an. Ich habe längst aufgegeben, ihm besondere Fragen zu meinem Fall zu stellen, weil mir klar ist, dass er sich nichts schert. Ich frage mich, ob er alle seine Klienten so behandelt. Verachtet er insgeheim auch kleine Diebe und andere Gesetzesübertreter, etwa die Typen, die vor Gericht landen, weil sie ihre Alimente nicht bezahlen? Mampft er vor denen auch Plundergebäck, während er sie zu einem Deal mit der Justiz auffordert? Ich frage mich, ob er sich jemals leidenschaftlich für irgendjemanden eingesetzt hat.
Vielleicht trifft es aber auch nur mich. Das Verbrechen, dessen ich beschuldigt werde, scheint ihn wirklich anzuwidern. Klar, es widert mich ja auch an, aber das würde er niemals glauben, genauso wenig wie Dave und Power-Grinser es geglaubt hätten. Ich bin zu der Einsicht gelangt, dass es hoffnungslos ist, und die Hoffnungslosigkeit ist eine Erleichterung. Langsam akzeptiere ich, dass man mich verurteilen wird, wessen immer ich angeklagt bin, einfach deshalb, weil alle Anwesenden im Verhandlungssaal darin übereinstimmen werden, dass dies das Beste sei. Ich erblicke deshalb in meinem Prozess auch nicht eine Chance auf Gerechtigkeit, sondern betrachte diesen als weiteren großen, gemächlichen Schritt auf meinem Weg ins Unvermeidliche. Wenn ich die Möglichkeit hätte, mir die Spritze schon morgen ansetzen zu lassen und mir dafür all diese Formalitäten, dieser Justiz-Humbug, diese Gerichtstermine und Berufungen erspart blieben, würde ich das vorziehen. Es liegt ihnen offenbar mehr daran, barmherzig und vernünftig zu erscheinen, als daran, die Wahrheit herauszufinden.
Aus diesem Grund verabscheue ich diesen Mann, doch würde ich versuchen, diese Abscheu auszudrücken, würde dies nicht als ein durchaus nachvollziehbares Ressentiment anerkannt, sondern wohl eher als das krankhafte Wüten eines gemeinen Verbrechers.
»Was Sie nicht sagen«, sage ich und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Ich habe das erwartet. Zwar wird ohne Leiche nur selten auf Mord angeklagt, doch es kommt vor, allerdings nur in Fällen, in denen sich der Staatsanwalt schon sehr sicher ist, dass er den tatsächlich Schuldigen vor sich hat. Mein Fall steht indessen auf wackeligen Beinen – kann ja angesichts meiner Unschuld auch gar nicht anders sein. Der einzige Schluss, den ich aus der Situation ziehen kann, ist, dass mein Anwalt dem Staatsanwalt schon von vornherein zu verstehen gegeben hat, dass von seiner Seite nicht viel Gegenwehr zu erwarten sei. »War das Ihre Idee?«
Er macht ein verdutztes Gesicht, als ob er glaubte, meine feindselige Bemerkung beruhe auf meiner fehlenden Einsicht in das Rechtssystem. »Nein«, sagt er mit einem Ausdruck, als würde er einem Kind die Grundsätze des Rechts erläutern. »Es obliegt dem Staatsanwalt, über die Anklage zu entscheiden …«
Ich richte mich auf und blicke ihn direkt an: »Hören Sie doch auf mit dem Scheiß. Sehen Sie, ich weiß, dass es Ihnen egal ist, und Sie wissen auch, dass es Ihnen egal ist …«
»Mister Sutton, ich suche mir meine Fälle nicht aus. Ich bin Pflichtverteidiger. Ich habe jede Menge zu tun und versuche meine Arbeit so gut wie möglich zu erledigen, und Ihre Einstellung ist da nicht besonders hilfreich …«
»… aber vielleicht können Sie mir sagen, ob Sie sich die Mühe gemacht haben, diesen schwarzen Polizisten aus Waco anzurufen, der dieses Verbrechen anscheinend gelöst hat.«
Da wir gleichzeitig geredet haben, bin ich überrascht, dass er darauf reagiert. »Ja. Sein Name ist Larry Watson. Er wird als Zeuge der Verteidigung aussagen. Wir werden eine Alternativtheorie des Verbrechens vorbringen.«
Er fängt an, in seinen Papieren zu kramen, während ich verdutzt dasitze. Der Mann hat doch tatsächlich was unternommen! Mein Anwalt hat zu guter Letzt tatsächlich etwas getan, das mir nützlich sein könnte. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass er nur deswegen aktiv wurde, weil ihn Larry Watson vom Kommissariat Waco fünfzig Mal angerufen und darum gebeten hat, zu meinen Gunsten auszusagen. Doch wie auch immer – das könnte ja noch ein echter PROZESS werden! Das gefürchtete Gefühl der Hoffnung beginnt sich in mir zu regen, und kurioserweise muss ich an mein Tagebuch denken. Darüber will ich jetzt nicht mit Robert sprechen, das möchte ich aufschreiben. Es fällt mir schwer,
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