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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Levison
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Möglichkeit zur Abreaktion möchte ich jetzt am liebsten weinen.
    »Die Polizisten dachten, ich hätte jemanden körperlich attackiert«, murmelt er.
    Wieder springt der Staatsanwalt auf, ein neuerliches Schreiduell bricht los. Selbst die Richterin fängt fast zu brüllen an, als sie Randall auffordert, sich auf die Zeugenaussage Ramirez’ zu beschränken.
    Randall steht hinter dem Podium und nickt. »Wann haben Sie der Polizei erzählt, dass Sie dieses junge Mädchen im Taxi gesehen haben?«
    Ramirez zuckt wieder mit den Achseln, Randall muss ihn erneut an seine Aussagepflicht erinnern. Er neigt sich zum Mikro vor und murmelt: »Weiß nicht.«
    Das war, erklärt Randall, vierundfünfzig Tage nach dem Ereignis. »Vierundfünfzig Tage«, wiederholt Randall noch ein paarmal. »Sie haben VIERUNDFÜNFZIG Tage gebraucht, um mit Ihren Informationen herauszurücken. Habe ich recht?«
    »Wird schon so sein«, murmelt Ramirez.
    »Warum haben Sie urplötzlich nach VIERUNDFÜNFZIG Tagen den Entschluss gefasst, ein braver Bürger zu sein, Mister Ramirez?«
    »Wir haben das Mädchen im Fernsehen gesehen. Erst dann haben wir erfahren, dass der was passiert ist oder so.«
    »Und wo waren Sie da, als Sie das Mädchen im Fernsehen sahen?«
    »Im Gemeinschaftsraum.«
    »In was für einem Gemeinschaftsraum?«
    Jetzt springt der Staatsanwalt wieder auf. »Euer Ehren, wir haben bereits festgestellt, dass der Zeuge im Gefängnis saß«, wendet er ein. Die Richterin nickt und ermahnt Randall noch einmal.
    Trotz der wiederholten Ermahnungen bringt Randall es fertig, die Jury wissen zu lassen, dass sowohl Ramirez wie auch der nächste Zeuge wegen bandenmäßigen Raubes im Gefängnis saßen und ihre Anklagen auf minder schwere Tätlichkeiten gemildert wurden, nachdem sie sich zur Zeugenaussage entschlossen hatten. Dann geht er zu den Details der Aussage über.
    »Sie sagen, mein Klient ist aus dem Geschäft herausgekommen. Was ist dann geschehen?«
    »Das Mädchen hat das Fenster runtergekurbelt, und er gab ihr die Limo.«
    »Sie hat es also runtergekurbelt? Haben Sie gesehen, wie sie an der Kurbel gedreht hat?«
    Ich stelle fest, dass Ramirez sich nicht sicher ist, ob es sich um ein automatisches Fenster gehandelt hat. Er fühlt sich aufs Glatteis geführt. »Das Fenster bewegte sich nach unten«, sagt er.
    »Auf welcher Wagenseite war das?«
    »Auf der Fahrerseite.«
    »Da sind Sie sich ganz sicher?«
    »O ja.«
    »Es war also definitiv die Fahrerseite?«
    »Aber ja doch.«
    Randall nickt, setzt sich und neigt sich zu mir rüber: »Der Mann von der Taxigarage muss aussagen, dass sich das Fenster nicht öffnen ließ.« Er sieht beschwingt aus. Ich sehe, wie der Staatsanwalt am anderen Tisch in seinen Unterlagen kramt, offenbar um rauszufinden, warum es Randall so sehr auf die Aussage Ramirez’ über die Fahrerseite ankam. Schließlich findet er etwas und hält es hoch. Dann wendet er sich seiner Assistentin zu, einer jungen Frau mit dem Gesichtsausdruck permanenter Überlastung, und murmelt ihr was zu. Sie nickt, springt auf und verlässt den Raum.
    Die nächsten zehn Minuten vergehen mit Verschiebungen und Verzögerungen, verursacht vom Staatsanwalt, der so tut, als sei er wegen formellen Dingen, Papierkramangelegenheiten verwirrt. Ich bin mit der Strafprozessordnung ja nicht vertraut, aber selbst ich bemerke, dass das nicht ganz koscher ist, was da läuft. Nach einigen Minuten wird die Richterin ärgerlich wegen des Getues und fordert den Staatsanwalt auf, seine Unterlagen in Ordnung zu bringen. Dann ruft sie den nächsten Zeugen auf.
    Es handelt sich um den anderen Typen, der mich angeblich mit meinem Entführungsopfer gesehen hat. Der ist noch heruntergekommener als sein Kumpel, mit einem rasierten Schädel, auf den Hinterkopf ein bluttriefendes Kreuz tätowiert. Unter seinem Hemdkragen lugen die Ränder weiterer Tätowierungen hervor – ein Fisch, der von seiner Schwanzflosse Wasser abschüttelt, und seitlich am Hals ist die Spitze eines Dolches sichtbar. Davon würde ich gerne mehr sehen. Ich frage mich, wozu diese Typen überhaupt Anzüge besitzen. Damit man sie in die besseren Strip-Clubs reinlässt? Für die Begräbnisse ihrer Freunde?
    Er erzählt mehr oder weniger die gleiche Geschichte wie sein Vorgänger. Er hing gerade mit Ramirez vor der Bodega ab, als ich daherkam. Auf dem Rücksitz war ein Mädchen, das »verängstigt« aussah. Ich ging rein, um eine Limonade zu holen. Sie ließ das Fenster runter und nahm das Getränk.

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