Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Depression verwandelt. Heute ist alles schiefgelaufen. Randall hat den ersten Zeugen hart angefasst, sein Elan wirkte dann aber verpufft, als sich der zweite Zeuge aus der Falle, die er ihm gestellt hatte, herauszuwinden vermochte. Danach war es aus mit dem selbstbewussten Anwalt, der wieder dem schwitzenden, linkischen Randall Platz machte. Von da an hatten wir wieder Gegenwind.
Die Zeugen zu meiner Verteidigung haben mir nicht viel genützt, sosehr sie sich auch bemüht haben.
Ich liege auf meiner Pritsche und starre an die Decke. Es ist vorbei. Ich werde in diesem Raum sterben. Und eigentlich kann ich froh sein, wenn ich hier sterben darf. Werde ich nämlich nicht zum Tode verurteilt, könnte ich drunten bei den Normalos das Zeitliche segnen, und bei denen möchte ich auf gar keinen Fall jemals landen. Die Typen, die gegen mich ausgesagt haben, sitzen da drunten ein, schlagen sich gegenseitig die Köpfe an den Tischen wund und verunstalten einander mit Tätowierungen blutender Kreuzzeichen. Warum sollte ich das einem Tod an diesem Ort vorziehen? Sollte ich zum Tod verurteilt werden, werde ich darum ersuchen, von allen Berufungen abzusehen, um die Sache rasch hinter mich zu bringen. Ich habe keine Lust, hier noch länger herumzuhängen und mein unmenschliches Leben zu führen. Ich gehe zur Toilette und betrachte das Edelstahlbecken. Ein harter Stahl ist das, lässt sich nicht biegen. Wie hat Robert es geschafft, da ein Stück rauszuschneiden und sich die Kehle damit zu schlitzen?
Jetzt fällt mir mein Tagebuch ein. Sie haben mir einen Schreibstift gegeben, ein zartes Ding aus Weichgummi, damit ich mir (oder einem Wärter) damit nicht die Augen ausstechen kann. Ich öffne das leere Büchlein und blicke auf die weiße Fläche. »Es ist eine gute Therapie«, hatte Dr. Conning mit ihrem charmanten Lächeln gesagt. Ich bringe nicht einmal eine gute Phantasie über Dr. Conning zustande. Ich starre auf die weißen Seiten mit ihren blauen Linien, schließlich werfe ich das offene Büchlein auf meine Pritsche und beginne wie wild zu schreiben.
Kapitel neun
Die Schlussplädoyers fallen mehr oder weniger genau so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte – ein Aufguss bekannter Lügen und falscher Interpretationen vonseiten des Staatsanwalts und ein verschwitzt vorgetragener Gedankenstrom vonseiten Randalls, der klang, als hätte er eine Einkaufsliste vorgelesen oder ein Gedicht aus alten Zeiten rezitiert. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der als Strafe für sein Zuspätkommen vor der Klasse eine Rede halten muss. Als alles vorüber ist, gibt die Richterin den Geschworenen noch einige Anweisungen, dann ziehen sie sich zurück. Zum ersten Mal sehe ich die Mitglieder der Jury den Gerichtssaal verlassen. Die Brünette mit dem harten Blick trägt ein leichtes Sommerkleid mit einem großzügigen Dekolletee. Vielleicht hat sie mitbekommen, dass der Militarist auf sie steht?
Ich denke noch immer wie ein menschliches Wesen.
»So, das wär’s dann«, sagt Randall. Seine Erleichterung ist greifbar. Es ist vorbei. Er hat sein Bestes gegeben. Er wird nach Hause gehen und mit seiner Frau und der zwölfjährigen Tochter zu Abend essen, und ich werde ebenfalls nach Hause gehen und für den Rest meines Lebens das Abendessen durch einen Gitterschlitz zugeschoben bekommen. So sieht’s aus.
»Ja«, antworte ich. Ich habe die Gefängnislektion gelernt und beherrsche den Trick, zu antworten, ohne irgendwas zu sagen. »Gehen wir mittagessen.«
»Es ist erst halb elf«, sagt Randall.
»Dann trinken wir doch eine Tasse Kaffee.« Er sieht meinen flehenden Blick, und er weiß, wenn die mich in einer Stunde oder zwei schuldigsprechen, ist dies auf lange Zeit meine letzte Chance, eine derartige Annehmlichkeit eines freien Menschen zu genießen.
»Na gut. Warten Sie im Umkleideraum. Ich gehe runter und hole Kaffee.«
Randall ist kein übler Bursche. Er taugt bloß nicht zum Helden. Nach jahrelangem TV-Konsum war ich zu der Überzeugung gelangt, das seien lauter Helden, die für die Gerechtigkeit kämpfen. Zehn Monate Realität haben mich gelehrt, dass der Kampf für die meisten Menschen zu hart oder zu unangenehm oder zu riskant ist. Randall ist halt auch einer von denen, die sich ihr Leben nicht noch stressiger gestalten wollen, als es ohnehin schon ist.
Die Officers begleiten mich in den Umkleideraum, und Randall holt mir Kaffee. Bis zur Verlautbarung des Urteils darf ich den Anzug von Clarence tragen.
Randall erscheint mit dem
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