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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Levison
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Gleiche getan. Komisches Gefühl, jemandem mal so nahe gestanden zu haben und diese Person dann unter derart unpersönlichen Umständen wiederzusehen. Ich gäbe viel dafür, einen Augenblick mit ihr allein sein zu können. Nur um ein paar Sekunden Intimität mit ihr zu erleben. Ich weiß, dass es unmöglich ist. Mehr als das Lächeln ist nicht drinnen. Vielleicht kann ich später mit Randall ein Sandwich vom Deli-Laden genießen.
    Das kurze, traurige Lächeln geht mir dermaßen ans Herz, dass ich eine Minute brauche, um seinen eigentlichen Sinn zu verstehen. Was zum Teufel ist bloß aus dir geworden? Wieso wird gegen dich ein Prozess wegen der Ermordung eines Mädchens geführt? Was geht da vor? Tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun kann. Du sitzt wirklich in der Patsche. Tut mir schrecklich leid.
    Ihre Sorge um mich nimmt mich stärker mit als alle meine eigenen Gefühle. Und als sie die Fragen Randalls beantwortet, ihm und der Jury erzählt, was für ein guter Partner ich war, wie normal, wie gewaltlos, wie fürsorglich, geht mir das Ganze gewaltig an die Nieren. Ich möchte mich bei ihr entschuldigen, dass ich sie in diese Scheiße reingezogen habe, dass sie von Houston kommen und in einem Hotel übernachten musste, dass sie gezwungen war, ihrem Mann diesen Wahnsinn auseinanderzusetzen. Sie sagt zu Randall, dass sie immer Gefühle für mich haben wird, auch wenn wir nicht füreinander bestimmt waren. Tränen fließen über meine Wangen, die ich ohne Unterlass wegwische, sorgfältig darauf bedacht, keine kehligen Schluchzer hören zu lassen.
    Als der Staatsanwalt an der Reihe ist, Karen zu befragen, würdigt er sie nicht einmal eines Blickes. »Keine Fragen.«
    Im Abgehen blickt sie noch einmal zu mir herüber, dieses Mal sogar noch besorgter als zuvor. Sie schlägt die Tür hinter sich zu.
    Als Nächster ist Larry Thomas dran, der im Wesentlichen all das wiederholt, was er mir im Gefängnis bereits erzählt hat. Er berichtet von einem gewissen Vern Brigthwell, der in Westboro als Schulbusfahrer gearbeitet hat und den Thomas der versuchten Entführung einer Schülerin verdächtigte. Es sind dieselben Informationen, die auch der Zeitungsartikel enthält, über den hier nicht gesprochen werden darf. Er ist ein guter Zeuge, und Randall macht seine Sache gut, stellt die richtigen Fragen. Wenn Thomas bloß nicht so außergewöhnlich langsam sprechen würde! Er ist wahrscheinlich ein ausgezeichneter Polizist, der aber nicht besonders klug rüberkommt. Er spricht dieses rustikal gedehnte, sehr präzise vorgetragene Englisch. Der Staatsanwalt macht einen Satz auf das Podium, als die Reihe an ihm ist.
    »Sagen Sie, ist dieser Vern Brightwell je zuvor wegen einer Straftat verurteilt worden?«, fragt er, betont laut und schnell sprechend.
    »Nicht dass ich wüsste«, antwortet Thomas.
    »Gab es am Tatort irgendwelche Hinweise darauf, dass Vernon Brightwell etwas mit dieser Sache zu tun haben könnte?«
    »Ich war nicht am Tatort«, sagt Thomas. »Ich arbeite in Waco.«
    »Danke«, sagt der Staatsanwalt und nimmt Platz.
     
    Ich vermisse Robert. Ich erfreue mich an der frischen Luft, an der morgendlichen Fahrt zum Gericht, an den echten Sandwiches und an der Tatsache, dass ich einen Anzug trage, auch wenn der einem Toten gehört. Aber ich habe niemanden, mit dem ich über die Geschehnisse reden kann. Meine Eindrücke sind in meinem Gehirn gefangen, wo sie sich im Kreis drehen, ohne erlöst zu werden. Wenn ich Randall anspreche, nickt er nur kurz und schaut weg, als hätte ich ihn bei einer komplexen Überlegung gestört.
    Heute werde ich auf meinem Rückweg durch den Normalo-Trakt geführt. Wie von einem Laufsteg blicke ich durch eine Glastrennwand in einen Saal, wo einige Gefangene um einen Picknicktisch sitzen. Plötzlich geht einer von ihnen auf einen anderen los und beginnt, ihm auf den Kopf zu schlagen. Die anderen Männer stehen auf und laufen weg, sodass nur mehr der Schläger und der Geschlagene übrig bleiben – bumm, bumm, bumm, mit dem Kopf auf den Tisch. Dann läuft der Kopfschläger weg und verschwindet aus meinem Sichtfeld. Auf dem Tisch bleibt eine Blutlache zurück. Das Opfer bricht über der Bank zusammen. Die beiden mich begleitenden Wärter sind stehen geblieben und haben sich das Schauspiel wie einen Film angesehen.
    »Scheiß Normalos«, sagt einer der beiden. »Nummer fünf aufmachen!«
    Zurück in meiner Zelle, hat sich meine nach der Lektüre des Zeitungsartikels euphorische Stimmung in eine

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