Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
diese Jungs hier ließen sich nicht beirren und sind ihren Weg weitergegangen. Jetzt aber einen ordentlichen Applaus für die drei!
»Fünf … vier.« Melissa Kerns beobachtet einen Typen hinter einer Kamera – plötzlich verwandelt sie sich von einem Moment auf den anderen, geradezu explosionsartig, in ein Wesen von kesser Fröhlichkeit und Beschwingtheit. »Hi, ich bin Melissa Kerns und das ist Texas Today .«Anscheinend pisst sie sich vor schierer Freude über diese Worte fast in die Hose. Sie berichtet über ein paar Ereignisse aus der Bundessstaatspolitik, dann dreht sie ihr Gesicht zu einer neuen Kamera.
»Unsere tapferen Männer und Frauen in Uniform sind täglich mit letztem Einsatz um unsere Sicherheit besorgt, doch hin und wieder können auch ihnen Fehler passieren …« Das darf doch nicht wahr sein! Meint die Tusse das ernst? Ich bin doch bitteschön nicht hierhergekommen, um den Bullen ein Loblied zu singen! Sehen Sie mal, trotz allem habe ich nichts gegen Polizisten, die haben einen schweren Job und leisten die meiste Zeit über Großartiges. Als Taxifahrer war ich in unzähligen Nachtschichten unterwegs, dabei hab ich mich immer ein wenig besser gefühlt, wenn Polizeifahrzeuge in der Nähe waren. Allerdings ist mir in letzter Zeit aufgefallen, dass man es mit dem Polizeilob auch übertreiben kann. Wenn wir alle ein wenig kritischer wären und die Polizisten wie normale Menschen mit einem schwierigen Job behandeln würden, dann hätten die vielleicht nicht das Gefühl, sie müssten wie Superman sein. Wenn wir sie als ganz normale Menschen betrachten, dann hätten sie es nicht nötig, Puzzlestücke zusammenzuzwingen, die nicht zusammenpassen, Zeugen zum Lügen anzustiften und Beweisstücke in den Papierkorb zu werfen, um sich ihren Fall zusammenzuschustern. Ich hoffe, dieses flotte kleine Naturwunder da fragt mich, wen ich für mein Schicksal verantwortlich mache, damit ich ihr entgegenschreien kann: »Menschen wie Sie!«
Wenn Jim meinen Gesichtsausdruck beobachtet, dann hat er mein Mikro wahrscheinlich schon ausgesteckt. Und natürlich wird man mich nicht fragen, wem ich die Schuld an meinem Schicksal gebe – Schuld ist ein zu negativer Ausdruck. Für derlei Gespräche ist in Texas Today wirklich keine Zeit.
Wie sich immer mehr herausstellt, werden wir hier nicht darüber sprechen, warum es zu diesen Fehlurteilen gekommen ist, was aber eigentlich der einzige Grund für mein Kommen war. Ich wollte mich mit jemandem darüber auseinandersetzen und mir ein paar Dinge vom Herzen reden. Über den auf der Polizei lastenden Druck wollte ich reden, unbedingt eine Verhaftung vorzuweisen. Über Rassismus, und über die Angst, in der Öffentlichkeit als Versager dazustehen. Ich hätte mir ein ehrliches Streitgespräch mit einem Polizisten oder einem Staatsanwalt gewünscht, die in ihrem Übereifer, die Bösewichte dingfest zu machen, das Augenmaß für falsch und richtig verlieren könnten. Da hab ich mich aber gründlich getäuscht – kein einziger Polizist oder Staatsanwalt, der für ein solches Desaster verantwortlich ist, wird sich hier hinsetzen und seine Sünden beichten. Keine Chance! Heute werden wir darüber reden, wie wir uns im Leben wieder zurechtfinden. Und genau darüber redet Jerome gerade. Er erwähnt auch immer wieder Gott. Vergebung. Liebe in meinem Herzen. Die Menschen, die sich um mich kümmern. Den Lebensweg weitergehen. Die Herrlichkeit Gottes. Er spuckt alle einschlägigen Stichworte aus, und Melissa strahlt vor Begeisterung.
Jerome spricht über die Zeugen, die gegen ihn ausgesagt haben. Sie haben es nicht böse gemeint. Sie wollten halt Gerechtigkeit für ihre Freundin, und alle waren emotional belastet damals. Sie zeigen ein Bild vom eigentlichen Täter, damit das Publikum die Ähnlichkeit mit Jerome erkennt, und wir kapieren jetzt alle, wie nachvollziehbar, wie frei von jeder Böswilligkeit Jeromes Verurteilung war. Brock hat mir von Jeromes Fall erzählt. Was ist eigentlich mit dem Mädchen, das aussagte, alle Schwarzen würden gleich aussehen? Was mit dem Staatsanwalt, der die Anklage selbst dann noch aufrechterhielt, als zwei der drei Zeuginnen angaben, die Polizei habe sie genötigt? Was ist – apropos – mit meinem Staatsanwalt, der stur bei seiner Entführungsklage gegen mich blieb, nachdem das Mädchen, dessen Ermordung mir angelastet wurde, lebend aufgefunden wurde? Der Eindruck, dass diese Staatsanwälte sich davor fürchten, sich vor aller Welt zu blamieren, sollte
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