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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Levison
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als wäre ich auf die weisen Worte des Everett Wells konzentriert.
    Everett Wells ist fertig, und während eine weitere Werbeunterbrechung eingeschoben wird, blickt er zu mir rüber. Ich muss ihm zugute halten, dass er mit dem Furz gut zurechtgekommen ist. Ich erwarte mir, dass er einen Kommentar dazu abgibt, stattdessen fragt er mich leise: »Wie ist Ihre Entschädigung gelaufen?«
    »Meine Entschädigung? Sie meinen die Klage wegen böswilliger Rechtsverfolgung?«
    Er nickt grinsend. Ich erzähle ihm, dass ich grade rausgekommen bin und wir noch keine Vereinbarung haben. Dann frage ich ihn über seine diesbezügliche Erfahrung.
    »Vier Komma sechs«, sagt er in seinem Schmeichelbariton, mit einem distanzierten, verträumten Gesichtsausdruck und einem Kopfwackeln, als würde er Musik hören.
    »Millionen Dollar?«
    Er nickt weiter. »Westboro ist eine reiche Gemeinde, Mann, da müsste schon ordentlich was rausspringen. Auch wenn Sie kein volles Jahr drinnen waren.«
    Jerome Loggins neigt sich zustimmend rüber. »Ich hab ein Komma fünf bekommen«, flüstert er. »Aber das war von Dallas County. In Westboro liegt viel mehr Geld rum. Ich habe einen phantastischen Anwalt, wenn Sie mögen, kann ich Ihnen seine Karte geben.«
    »Ich bin zufrieden mit meinem Anwalt«, sage ich.
    Sobald es ans Abkassieren geht, haben wir alle die besten Anwälte. Die Crème de la Crème der Juristen stellt sich an, um uns beim Geldeinsammeln zu helfen. Hätten wir diese Anwaltskanonen schon früher, nämlich bei unseren Prozessen, an unserer Seite gehabt, säßen wir vielleicht heute alle nicht hier.
    Zurück auf Sendung. Ich bin dran. Ich sehe, wie die Kamera zu mir her schwenkt, während Melissa meine Geschichte erzählt, und sie zeigen dasselbe Foto wie in der Zeitung, wie ich – deutlich beleibter als heute – vor der Polizeidienststelle Westboro in Handschellen abgeführt werde. »So, Mister Sutton«, spricht mich Melissa mit einem Lächeln an, dessen Strahlen nur unter schmerzvoller Anstrengung zustande kommen kann. »Ich höre, Sie hatten im Gefängnis eine Blinddarmentzündung?«
    Das scheint ein etwas seltsamer Einstieg in das Gespräch zu sein, aber ich nicke pflichtbewusst. »Ja, stimmt, ich bin krank geworden«, antworte ich. Wie kann ich Westboro ins Gespräch bringen, wenn wir über meine Blinddarmentzündung sprechen? »Der Stress, in den mich all das gebracht hat …« Ich mache eine Pause und blicke mich um, während Melissa mich unverwandt anblickt, gleichzeitig ermunternd und besorgt, als ob ich im Begriffe wäre, das Thema zu verfehlen. »Das hat sich einfach auf den Körper geschlagen. Als die Westboro …«
    »Sie wurden ins Krankenhaus eingeliefert, nicht wahr?«, fragt Melissa mit Blick auf ihre Unterlagen.
    »Ja, richtig.«
    »Da fällt mir was ein«, sagt Melissa. »Überlegen Sie sich mal Folgendes.« Sie dreht sich zur Kamera, spricht aber weiter mit mir, was eine Art komischer Entkoppelung ergibt. »Wären Sie nicht verhaftet worden, dann hätten Sie wahrscheinlich gar nicht den Zugang zu medizinischer Versorgung gehabt, der Ihnen im Gefängnis offenstand, nicht wahr?«
    In diesem Licht hatte ich die Sache freilich noch nicht betrachtet. Dann hätten Inspektor Dave und sein Freund, der Staatsanwalt, die alle Beweise zu meinen Gunsten verschwinden ließen, mir ja einen Riesengefallen getan. »Ich glaube, ich habe vergessen, mich bei ihnen zu bedanken«, sage ich mit gespielter Heiterkeit, die eigentlich die ihre in Frage stellen sollte, aber von Melissa und wohl auch von den von ihr repräsentierten Zuschauern für bare Münze genommen wird. Ich habe vergessen, dass ich mich in einem Medium befinde, in dem gespielte Gefühle auf glaubwürdig getrimmt werden. Ich stelle mir vor, wie sich Brock vor dem Fernseher mit der Hand gegen die Stirn schlägt: »Die Westboro …«
    »Wie kommt das?«, fragt Melissa jetzt mit der gerunzelten Stirn der knallharten Journalistin in die Kamera hinein. Ich bin mir nicht sicher, ob sie noch mit mir spricht oder mit ihrem Publikum oder mit dem Typen, der – über Satellit zugespielt – gerade auf dem Monitor erschienen ist. »Warum bekommen Vergewaltiger und Mörder bei uns eine erstklassige medizinische Versorgung, während hart arbeitende Leute ohne Krankenversicherung dieser Zugang verwehrt bleibt? Darüber möchte ich heute mit Dr. Miles Lake vom texanischen Gesundheitsministerium sprechen.«
    »Meint die dumme Kuh das ernst?«, frage ich Everett, und ich höre meine

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