Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
und Ermordung einer Brookhaven-College-Studentin verurteilt, hauptsächlich aufgrund der Aussage dreier Zeugen, die ihn am betreffenden Abend mit der Frau gesehen hatten. Die Zeuginnen waren – so wie das Opfer – attraktive, junge, weiße Frauen. Die Leute, die ihm ein Alibi gaben, waren wie er: junge, schwarze Männer mit Vorstrafen. Letztlich mündete die Verhandlung in die Frage, wer glaubwürdiger war. Die Jury brauchte fünfundvierzig Minuten, bis sie ihn zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit einer Entlassung auf Bewährung verurteilte.
Im Laufe der nächsten zwölf Jahre meldete sich ein Gefangener aus dem Todestrakt und gestand den Mord; zwei der drei Zeuginnen widerriefen ihre Aussagen und behaupteten, sie seien von der Polizei unter Druck gesetzt worden, und die Dritte gestand öffentlich ein, sie sei der Meinung, alle schwarzen Männer sähen gleich aus. Es dauerte zwei weitere Jahre, bis sich der Todeskandidat endlich an ein wesentliches Detail erinnerte, das nur der Täter wissen konnte, und Loggins schließlich ein neues Verfahren bekam, in dem er freigesprochen wurde. Wäre er zum Tatzeitpunkt nur einen Monat älter gewesen, hätte er die Todesstrafe ausgefasst und wäre längst hingerichtet gewesen, als diese neuen Erkenntnisse zutage traten. Diese Tatsache hat ihn dazu veranlasst, an die Existenz Gottes zu glauben.
Everett Wells ist sechsundvierzig Jahre alt. Mit vierundzwanzig wurde er wegen der Ermordung eines Security-Mannes im Zuge eines Überfalls auf einen Juwelierladen in einem Einkaufszentrum verhaftet. Eine Frau, die in dem Juwelierladen angestellt war, war sich sicher, dass Wells nicht der Mann war, der sie überfallen hatte, zumal er mindestens fünfzehn Kilo mehr wog als der Täter. Ein anderer Security-Mann gab zu Protokoll, der Täter sei wesentlich dünner als Wells gewesen. Der einzige Zeuge, der Wells als den Todesschützen identifizierte, war ein Mann, der von seiner Frau betrogen wurde – ausgerechnet mit Wells! In Verbindung mit der unerklärlichen Tatsache (unerklärlich freilich nur für Leute, denen die Gewohnheit der dortigen Polizei nicht vertraut war, immer dann wichtige Beweisstücke zu »entdecken«, wenn ihnen ein Fall zu entgleiten drohte), dass in Wells’ Auto drei Monate nach der Tat eine Rolex-Uhr aus dem Raubgut gefunden wurde, reichte diese Aussage aus, um dem Mann eine lebenslange Haftstrafe einzutragen. Nachdem der vorsitzende Richter zwanzig Jahre später in Rente gegangen war, konnte endlich ein neuer Richter den Fall noch einmal aufrollen und Wells entlassen. Wells führt seine Entlassung auf das Wirken Gottes zurück.
Diese beiden Männer sitzen während meines Auftritts in Texas Today neben mir. Brock hat mir erklärt, dass die TV-Leute versuchen, das Frühmorgen-Wohlfühl-Image der Sendung hinter sich zu lassen und sich zu einem schlagkräftigen Nachrichtenmagazin zu entwickeln, ähnlich 60 Minutes. Eine Reportage über die erschreckend hohe Zahl rückgängig gemachter und fehlerhafter Verurteilungen in Texas sei der zweite Ausflug in dieses neue Genre. Als Vorbereitung auf meinen Auftritt hab ich mir die erste knallharte Reportage gestern in meinem Hotelzimmer angesehen, eine Sendung mit dem Titel »Angebote aus dem Internet – was ist dran?« Da brachten sie ein Interview mit einem Mann, der sein Geld zurückverlangte, das er in Penisvergrößerungspillen investiert hatte, und mit einer Frau, die sich von einem als Immobilienmakler auftretenden Schwindler um Tausende Dollar erleichtern ließ. Ich sitze jetzt auf derselben Couch, auf der gerade noch ein Mann gesessen hatte, dem es nichts auszumachen schien, ganz Texas wissen zu lassen, er habe einen kleinen Penis und ein miserables Urteilsvermögen. Wie tief kann man eigentlich sinken?
Auf dem Weg hierher hat mir Brock eingeschärft, ich müsse unter allen Umständen und so häufig wie möglich das Stadtviertel Westboro erwähnen. Je mehr ich Westboro runtermache, erklärte er mir, desto besser für unsere Entschädigungsklage, desto höher die wahrscheinliche Summe und desto früher sei mit deren Auszahlung zu rechnen. »Sagen Sie Westboro, so oft sich die Gelegenheit dazu bietet«, insistiert Brock noch einmal, während die Techniker mein Mikrofon einstellen. Er klopft mir aufmunternd auf die Schulter, dann führen sie mich zur bewussten Couch.
Die knallharte Journalistin ist eine umwerfende Blondine Anfang dreißig mit einem eingefrorenen Lächeln. Das Make-up scheint man ihr mit Spachteln ins
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