Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
verlassen müssen.
Ich gehe ins Elternschlafzimmer, aus dem offenbar ein Stapel Kleidungsstücke rausgetragen wurde – der Stapel dürfte zu hoch geraten sein, sodass da und dort Kleider runtergefallen und auf dem Boden liegen geblieben sind. Nicht zusammenpassende Socken, ein Pullover, ein Gürtel, ein rotes Kleid und ein Paar Stöckelschuhe – verloren oder absichtlich zurückgelassen. Im taubenblauen Teppich sind noch die Abdrücke der Bettpfosten zu erkennen. Ein Kissen im geblümten Überzug lehnt an der Wand, da liegt ein blaues Handtuch.
»Was zum Teufel ist denn hier passiert?«, frage ich.
»Der Sheriff ist gestern gekommen und hat sie delogiert. Sie hatten die übliche Dreißigtagefrist, die aber kein Mensch ernst nimmt. Sie glauben, sie hätten länger Zeit, oder die Bank macht einen Rückzieher und ruft den Sheriff zurück oder so ähnlich. Wenn der Sheriff dann kommt, bleibt ihnen nur noch eine Stunde. Da müssen sie zusammenraffen, was geht.«
»Sie können nicht behaupten, man habe sie nicht gewarnt«, sagt Omar.
Das kommt davon, wenn du dich der Hoffnung hingibst. Ich sehe, wohin so ein Gottvertrauen führt. Diese Leute haben buchstäblich bis zum letzten Augenblick gehofft, dass alles nochmal gutgehen würde.
»Weißt du, was dieser Typ beruflich gemacht hat?«, fragt mich Terry. Ich schüttle den Kopf, und er sagt: »Rate mal.«
»Anwalt?« – Omar lacht, Terry schüttelt den Kopf. Ich habe das Haus und das Wohnviertel gesehen, und ich schätze, du musst schon an die 150.000 Dollar im Jahr machen, wenn du so wohnen willst. Also irgendein Akademiker welcher Art auch immer, schätze ich. »Arzt?«
Terry schüttelt wieder den Kopf. »Er war Postbote«, sagt er und zieht den Vorhang über der Schiebetür zum Balkon zurück. Wir gehen raus und blicken über einen zugewachsenen Hinterhof mit einem Swimmingpool, der von teurem Ziegelpflaster gesäumt ist. Wuchernde Gräser schwanken über der von hellgrünen Algen bedeckten Wasserfläche, und ich drehe meinen Kopf weg, als mich eine Wolke des nasskalten, moschusartigen Geruchs von abgestandenem Poolwasser anweht. »Ein gottverdammter Postbote? Das glaubst du ja selber nicht! Einer, der vielleicht fünfzehn Dollar die Stunde verdient? Schau dich doch um. Du willst mich wohl verarschen.«
Er geht voran die Treppe runter, um die Reinigungswerkzeuge aus dem Wagen zu holen. »Ein elender Postbote. Ha!«
Unsere Aufgabe besteht darin, das Haus in einen akzeptablen Zustand zu bringen, damit die Bank, die die Immobilie zwangsvollstreckt und dem Postboten wieder abgenommen hat, den Makler damit beauftragen kann, es wieder auf dem Markt anzubieten und Kaufinteressierten zu zeigen. Wir bessern Kratzer in der Wand aus, ziehen Nägel, an denen Bilder hingen, flicken Löcher und schrubben Spülbecken und Toiletten. Während wir malochen, erzählt mir Terry Horrorgeschichten über einige der schlimmsten Häuser, in denen er gearbeitet hat.
»Mann, dieses eine Haus sah aus, als hätten es die Eigentümer von einer Minute auf die andere verlassen. Alle Möbel drin, einfach alles. Ich und Omar gehen in die Küche, da steht noch das Frühstücksgeschirr auf dem Tisch. Teller mit Speck und Eiern drauf, auf dem Tischtuch verschüttetes Ketchup. Die Abwasch voll Geschirr, im Trockner lag noch Wäsche. Es war wie eine Szene aus Twilight Zone oder so Scheiße. Als ob die Menschen verdampft wären oder sonst was in der Art.«
Er macht eine Pause, während er seinen Pinsel in die Farbe taucht und anfängt, die verfärbten Stellen an der Wand zu betupfen. »Wir haben volle vier Tage gebraucht«, sagt er lachend. »Wir mussten fünf Freunde von Omar anheuern, und am Ende hab ich noch Geld dabei verloren, weil ich der Bank im Voraus ein Pauschalangebot gemacht hatte.«
Wir machen eine Pause draußen beim grünschleimigen Swimmingpool. Die Leute sind ganz verrückt nach Swimmingpools und vergessen dabei, wie teuer deren Erhaltung ist. Du musst nur ein paarmal die Pflege durch den Poolboy absagen, wenn das Geld knapp wird, und das Gartenparadies verwandelt sich in einen verfaulenden Sumpf. Die Natur lauert nur darauf, sich das ihre zurückzuholen. Während wir unser Mittagessen aus dem Supermarkt verzehren, kommen ein paar Leute von der Bezirksverwaltung vorbei und werfen eine Plane über den Pool. »Damit die Stechmücken nicht darin brüten«, erklärt Terry. Die Anzahl unbetreuter Swimmingpools hier in der Gegend hat so zugenommen, dass sie zu einer
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