Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 2
abgestellt hatte. James blieb in ihrer Nähe, berührte sie aber in Gegenwart von Singh nicht. Trotzdem signalisierte er ihr mit seinen Blicken, dass er sich nichts sehnlicher wünschte als eine baldige Wiederholung des Kusses.
O’Leary griff zur Kohlenschaufel und schürte das Kesselfeuer des Drehflüglers, nachdem Kate ihm eine Anweisung gegeben hatte. Singh und James nahmen auf der Passagierbank Platz, und wenig später erhob sich die eiserne Flugmaschine in die Lüfte.
Es war nicht weit vom Mandarin Oriental Hotel bis zum Xerxes Club. Dennoch freute sich Kate über den kurzen Flug, weil sie währenddessen ihre Gedanken und Gefühle ordnen konnte.
Sie war sehr stolz, weil James’ für sie entflammt war. Noch niemals zuvor hatte ein so toller und beeindruckender Mann Interesse für sie gezeigt. Inzwischen zweifelte Kate auch nicht mehr an seinem guten Charakter, denn immerhin hatte er sie unter Einsatz seines eigenen Lebens gerettet. Dafür machte Kate aber eine ganz andere Sache Sorgen. Sie fragte sich ernsthaft, was für eine Chance sich James, Singh und dieser Phineas Fletcher sich bei ihrem Kampf gegen die mörderische Vampirsippe ausrechneten. War es wirklich möglich, eine so große Übermacht von dämonischen Wesen zu besiegen?
Mit Schaudern erinnerte sich Kate an den Überraschungsangriff der Vampire im Britischen Museum. Wenn James nicht in letzter Minute gekommen wäre, dann hätte die Sache böse enden können.
Ob Kate Inspektor Williams über die geplanten Teufeleien der Langzähne in Kenntnis setzen sollte? Kaum war ihr dieser Einfall gekommen, da verwarf Kate ihn auch schon wieder. Vampire, die Queen Victoria beißen und das Empire ins Unheil stürzen wollten? Der Kriminalbeamte und seine Kollegen von Scotland Yard würden Kate endgültig für verrückt erklären, wenn sie mit einer solchen Behauptung im Polizei-Hauptquartier aufkreuzte.
Nein, auf Unterstützung durch die Ordnungsmacht konnte sie nicht hoffen. Bevor Kate ihre Überlegungen weiterspinnen konnte, erreichte ihr Drehflügler die Bond Street. Die Pferde im Gespann einer Droschke scheuten, als sie den Dampfkutter sahen und hörten. Der Kutscher fluchte und schüttelte die Faust. Aber Kate ließ sich davon nicht beeindrucken und landete direkt vor dem Gebäude, in dem sich Phineas Fletcher vielleicht aufhielt. Der Eingang des vornehmen Clubs wurde von zwei Säulen im römischen Stil eingerahmt.
Sie stiegen aus dem Dampfkutter, als plötzlich ein kleiner rothaariger Kerl mit Pelerine und Melone auf dem Kopf die Fahrbahn überquerte. Er gestikulierte wild mit seinem Spazierstock. Kate seufzte, denn sie kannte den Mann mit den unordentlichen Koteletten. Er hieß Tim McBain und war einer der schlimmsten Sensationsreporter Londons. McBain hatte die Gewohnheit, aus einem Verbrechensopfer mindestens ein halbes Dutzend grausam niedergemetzelter Ermordeter zu machen. Mit der Wahrheit nahm er es nicht so genau, und für die Auflagensteigerung vom London Chronicle hätte er wahrscheinlich sogar seine Großmutter an den Teufel verschachert.
Kate befand sich in einer Zwickmühle. Wenn dieser windige Reporter etwas von ihrer geheimen Mission witterte, konnten sie ihre Offensive gegen die Vampire getrost vergessen. McBain würde hemmungslos jedes Geheimnis an die Öffentlichkeit zerren, wenn sich damit Geld verdienen ließ.
Wenigstens war es ihr bisher gelungen, ihre Tätigkeit als Polizeispitzel vor dem nervenraubenden Reporter zu verbergen. Aber das war ihr nur mit mehr Glück als Verstand gelungen. McBain verfügte nämlich über sehr gute Instinkte. Er war ein zäher Bursche, der verborgene Mysterien förmlich zu ahnen schien. Es war sehr schwer, vor ihm etwas zu verheimlichen. Kate verfluchte ihr Schicksal. Warum musste er ihnen ausgerechnet jetzt über den Weg laufen?
„Kate, mein rothaariges Technikgenie!“, plärrte McBain mit der Lautstärke einer Dampfpfeife auf einem interkontinentalen Luftschiff. „Was treibt dich denn in diese Gegend?“
„Ich arbeite, so wie immer“, entgegnete Kate trocken. Zu abweisend durfte sie nicht sein, sonst würde der Reporter Lunte riechen. „Und was ist mit dir, Tim? Haben die Pubs in der Fleet Street heute alle geschlossen?“
Die Fleet Street war das Zentrum der Londoner Zeitungswelt. Neben der altehrwürdigen Times waren dort die meisten Verlage der Hauptstadt angesiedelt. Auch der schmierige London Chronicle, für den Tim McBain schrieb, hatte dort seine Geschäftsräume und seine Druckerei.
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