Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 7
Scotland Yard verlassen zu können. Wieder einmal verfluchte sie innerlich die unpraktische Damenmode. Ob Frauen wohl jemals Hosen tragen würden, so wie die Männer es taten? Der weite Krinolinenrock war oft bei der Arbeit im Dampfkutter-Führerstand mehr als hinderlich. Aber warum sollte Kate sich über eine solche Kleinigkeit ärgern, wenn sie nun endlich nach Indien reisen konnte?
Kate musste ihre Aufregung bezwingen, als sie den Drehflügler startete, um zu James’ Kanzlei zurückzufliegen. Sie war so außer sich vor Freude, dass sie beinahe einen anderen Dampfkutter übersah, der sich ihr aus Richtung Norden näherte. Erst im letzten Moment konnte sie die Steuerhebel herumreißen. Der wuchtige Drehflügler ihres Kollegen Harry Carson rauschte um Haaresbreite an ihrem Fluggerät vorbei. Harry schaute sie im Vorbeifliegen empört an und betätigte seine Calliope – die Dampfpfeife, mit der die Piloten von Drehflüglern Warnsignale abgeben konnten. Die Calliope war laut genug, um das monotone Stampfen der Maschinenkolben zu übertönen.
Der Beinahe-Unfall hatte Kate gewarnt. Auf keinen Fall durfte sie einen Unfall verursachen, denn dadurch wären ihre Zukunftspläne geplatzt. Sie flog nun besonders umsichtig und erreichte ihr Ziel ohne weitere Zwischenfälle.
Trotzdem wurde sie wieder unruhig, als sie die Stufen zum Kontor ihres Verlobten hochstieg. Was sollte sie nur tun, wenn James nicht mitkommen wollte? Liebte er sie überhaupt noch, wenn ihm Kates Sorge um ihre Freundin so gleichgültig war? Das sind Gedanken wie Giftspritzen , sagte Kate zu sich selbst. Aber sie konnte nicht aus ihrer Haut.
Jedenfalls war ihr Verlobter seit ihrem letzten Besuch nicht gerade von Aufträgen überhäuft worden. James saß immer noch an seinem Schreibtisch und wartete auf einen Mandanten, der vielleicht niemals kommen würde. London wurde von hoffnungsvollen jungen Anwälten überschwemmt, das wusste Kate.
James blickte sie erwartungsvoll an, als sie schon wieder in sein Büro stürmte. Bestimmt spiegelte sich Kates Aufregung auf ihrem Gesicht wider. Die Worte brachen wie ein Wasserfall aus ihr hervor. Doch während sie noch wild drauflos plapperte, erhob sich James und kam lächelnd auf sie zu.
„Du hast mich schon überzeugt, Darling. Es ist sehr liebenswürdig von dir, dass du mich auf diese weite Reise mitnehmen willst. Ich nehme das Angebot gern an.“
„Wirklich?“ Plötzlich lief für Kate alles wie am Schnürchen. „Aber vorhin warst du doch noch so sehr gegen meine Indienreise!“
„Ja, das stimmt. Aber bei unserem ersten Gespräch wolltest du auch noch allein und auf eigene Faust die weite Reise machen. Jetzt reist du im Regierungsauftrag, und außerdem wirst du nicht nur von mir, sondern auch noch von Benson und Fletcher begleitet. Das habe ich jedenfalls deinen Worten entnommen. Also muss ich mir um deine Sicherheit nicht so viele Sorgen machen. Außerdem hätte ich mir die Reisekosten aus eigener Tasche niemals leisten können. Ich finde es sehr schön, dass du mich dabei haben willst. Weil ich dich nämlich liebe.“
Kate lag schon die Bemerkung auf der Zunge, dass sie kein Kindermädchen brauchte und sich niemand wegen ihres Wohlbefindens den Kopf zerbrechen müsste. Aber James’ letzter Satz stimmte sie schlagartig friedlich.
„Ich liebe dich auch“, flüsterte sie und näherte sich James. „Was glaubst du, aus welchem Grund ich dich bei mir haben will?“
James zog sie an sich. „Dann können wir deinen Indien-Auftrag vielleicht als eine Art vorgezogene Hochzeitsreise betrachten, Kate. Ich glaube nämlich nicht, dass wir bald wieder an einen so weit entfernten und exotischen Ort wie Bombay gelangen werden.“
Kate lachte und bedeckte James’ Gesicht mit Küssen. Sie war einfach nur glücklich darüber, dass sie ihren Verlobten bei dieser Mission an ihrer Seite haben würde. Auch David Benson und Phineas Fletcher hatten sich als sehr zuverlässige und treue Reisegefährten erwiesen. Da Benson inzwischen eine andere Frau kennengelernt hatte und keine Gefühle mehr für Kate hegte, würde es gewiss weniger Komplikationen geben als bei dem Paris-Abenteuer.
Kate zog Williams’ Scheck hervor und wedelte damit. „Ich kann es kaum erwarten, mit dir nach Indien zu fliegen, Liebster. Nun müssen wir uns aber erst richtig einkleiden. Scotland Yard war sehr großzügig. Diese Summe wird nicht nur für meine Garderobe reichen. Auch für dich sollte noch eine passende Tropen-Montur zu bekommen
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