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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugenie Kain
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erklären. Bis dahin kann ich dir nur versichern, es geht ihr gut, ich weiß, dass sie hart arbeitet, auch an sich, und ich bin mir sicher, dass sie ganz gut auf sich aufpassen wird.
    Außer uns brachte das Schiff nur mehr wenige einheimische Passagiere nach Torcello. Vorbei an der Friedhofsinsel San Michele und der Glasinsel Murano bahnte sich das Schiff seinen Weg durch die Wasserstraßen der Lagune. Inseln tauchten auf dem Wasser auf, mit verfallenen Ställen und Häusern, Glockentürme, Pinien, dann wieder nur ein Flecken Erde mit einem geflochtenen Zaun. Fröhlich schief stand der Campanile von Burano inmitten leuchtend bunter Häuser. Von Torcello ging eine Stille aus, die auch die Wolf befangen machte. Nach dem Aussteigen stellte sich heraus, dass mit den Gummistiefeln auch der Reiseführer im Kofferraum liegen geblieben war. Auf Torcello gab es keine Gassen, nur einen Treidelweg entlang des Kanals hinauf zu den Kirchen. Über Torcello wusste ich auch nichts, außer dass es einmal eine wichtige und reiche Insel war, die schlagartig unbedeutend und entvölkert wurde. Mama hatte keinen guten Tag damals, deshalb blieben wir an der Anlegestelle, um sofort mit dem nächsten Schiff zurückzufahren. Jetzt ging ich mit den Wolfs den schmalen Treidelweg vorbei an saftig grünen Gärten, kleinen Feldern und zwei geschlossenen Gasthäusern. Der Wolf hatte wegen des vergessenen Reiseführers jetzt endlich ein Ventil, durch das er den Ärger über den ruinierten Film ablassen konnte.
    – Ponte del Diavolo, las er laut, es wäre halt gut zu wissen, warum die Brücke eine Teufelsbrücke ist.
    – Ich kenne viele Geschichten über Teufelsbrücken. Wenn ihr wollt, erzähle ich euch eine, wenn ihr wollt, erfinden wir eine.
    Sie gingen auf meinen Vorschlag nicht ein. Der Wolf wollte im Recht bleiben, schließlich kamen wir erst zu den Baudenkmälern, über die ihn der Reiseführer informieren sollte. Die Wolf schien noch ein anderes Problem zu bekommen.
    – Hier sind überall Zäune und Tafeln. Überall Privatbesitz. Was wird aus unserem Picknick?
    – Hauptsache, der Reiseführer ist im Kofferraum. Die Kirche Santa Fosca, der Dom Santa Maria Assunta, das Museum, alles war geschlossen. Das Restaurant hatte Sperrtag. Wir waren zu spät gekommen.
    – Im Reiseführer …, sagte der Wolf, weiter kam er nicht, denn jetzt wurde die Wolf wild. Sie schrie ihn an. Beide hatten vergessen, dass ein Kind neben ihnen stand, das in den nächsten fünf Monaten das ihre werden sollte.
    – Was bist du, wenn du ohne Reiseführer ein Nichts bist? – Ein Lehrer! Ein Herr Lehrer, der nicht einmal Film wechseln kann, wenn es brennt. Ich lasse mir von dir mein Venedig nicht vermiesen.
    – Du wolltest doch gar nicht herkommen.
    – Ich? Ich habe mit Ja gestimmt, bei deiner sauberen geheimen Wahl, die du vorgeschlagen hast, damit du unseren Ausflug torpedieren kannst.
    – Ich? Ich habe wegen der Kleinen einen Strich gemacht.
    – Das X ist von mir, ich will euer Venedig nicht. Ich hab selbst eines. Seht ihr nicht wie das Wasser steigt?
    Ich bin ihnen davongelaufen. Hinter dem Dom führt ein kleiner Weg am Friedhof vorbei durch die Salzwiesen der Insel. Abzweigungen führen zu Feldern, Obstgärten oder Bootsanlegestellen. Alles ist hier verdreckt. Angeschwemmte Plastikflaschen und Bierdosen bilden eigene Müllbänke. Ein kaputter Sessel steht halb im Wasser, Papier- und Plastikfetzen hängen wie Flechten von den Sträuchern und verkrüppelten Bäumen. Besser nicht zu genau hinschauen. Im Abendlicht verschwimmen die Farben der Landschaft wie die Landschaft selbst. Die Stöcke und Netze der Fischer schimmern lila, die Salzwiesen werden braun, schlammige Sandbänke grün, das Wasser und der Himmel sind türkis, und in einem fernen Rosa werden sie eins.
    Ob sie mich suchen? Ob sie mich finden werden? Die Vollblutfamilie hat mich immer gefunden. In der Halbblutfamilie ist es gut gegangen bis zuletzt. Die Kunstblutfamilie? Ich muss es riskieren. Die Wolfs werden sich ohnehin etwas überlegen müssen. Nach Venedig fährt kein Boot mehr.

Kaventsmann
    Es war ihre Idee. Es war eine ihrer Schnapsideen. Er hatte nachgegeben, weil er keinen Streit wollte. Nicht schon wieder. Jetzt verfluchte er seine Bequemlichkeit. Er lag auf einem viel zu weichen Bett mit geblümtem Überzug. Auf den Vorhängen drängten sich fliederfarbene Rosen mit grünen Blättern über rosa Rüschen, und die Tapete war ein grauenvolles Dickicht aus kindskopfgroßen Pfingstrosen,

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