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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugenie Kain
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Rauchwolke aufsteigen. Das sehen wir uns an, sagte der Wolf, und die Wolf nickte eifrig und sah mich erwartungsvoll an. Mit dem Traghetto ließen wir uns über den Canale Grande setzen, dann eilten wir über die Calle Lunga S. Barnaba zum Zattere, dem Rücken oder der Flosse von Venedig, je nachdem. Vor fast allen Fenstern flatterten die Regenbogenfahnen des Friedens. Am Zattere waren schon viele Leute zusammengelaufen. Die Rauchwolke kam von der anderen Seite, der Isola della Giudecca. Die Stuckymühle brannte. Auf der Suche nach ruhigen Plätzen und auf der Flucht vor den Touristen war ich mit Mama oft auf der Giudecca gewesen. Zuletzt war der Mulino Stucky bereits eingerüstet und mit großen Werbeflächen bedeckt. Appartements sollten entstehen, Eigentumswohnungen, Geschäfte, ein Hotel, ein Kongresszentrum. Mit Mama besahen wir uns die Baustelle von allen Seiten. Auf dem Spielplatz eines nahen Wohnblockes fanden wir einen Fliederbusch mit frisch lackierter Sitzbank und Sicht auf Fischreusen und Boote. Mama suchte im Reiseführer Angaben über den Mulino Stucky und las mir vor, dass sich der »Cavaliere d’industria«, Giovanni Stucky, ein Schweizer, vom deutschen Architekten Ernst Wullekopf auf der Giudecca 1895 eine Getreidemühle mit angeschlossener Nudelfabrik im neugotischen Stil hatte bauen lassen. Das rote Mauerwerk mit seinen riesigen Silotürmen änderte die Silhouette der alten Arbeiterinsel so sehr, dass bereits damals viele in der Lagune gegen das Bauvorhaben protestierten. Giovanni Stucky drohte darauf, alle Arbeiter zu entlassen. Einige Jahre später wurde er von einem Arbeiter erstochen, weil er ihm den Lohn nicht zahlen wollte. Der Mulino Stucky war eine Zeit lang die größte Nudelfabrik Italiens. Nach der Stilllegung in den fünfziger Jahren wurde das Gebäude dem Verfall überlassen. Mama und ich erfanden eine Geschichte vom Fluch der Stuckymühle und dem Gespenst Wullekopf. Solange es Fabriksbesitzer gibt, die die Leute schinden und betrügen und mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen drohen, wird sich der Fluch ausbreiten wie ein Virus.
    Mit den Wolfs saß ich am Kai, und wir sahen hinüber zum Feuerschein hinter den Fenstern des bereits renovierten Turms des Gebäudes. Ich erzählte ihnen die Geschichte vom Fluch, während wir den Feuerwehrmännern zusahen, wie sie gegen das Feuer ankämpften und doch unterlegen blieben. Der Wasserstrahl des Löschbootes erreichte nicht einmal die halbe Höhe des Gebäudes, die glühenden Ziegel qualmten, wenn Wasser auf sie traf. Ein Hubschrauber versuchte, den Brandherd aus der Luft mit Wasser zu treffen, dann zog er eine Schleife, flog tief an den Canale della Giudecca heran, ließ den Behälter fallen, zog ihn durchs Wasser und flog mit seiner Wasserlast zum Brandherd zurück. Von unserer Seite sah es aus, als würde sich ein Insekt damit abmühen, einen Fingerhut Wasser in einen Vulkan zu gießen, während sich unten die Männer der vigili del fuoco von der Fondamenta San Biagio über die Brücke eines Rio in das rauchende Gebäude kämpften. Kurz darauf stürzte ein Teil des Seitentraktes ein, Wasser spritzte, das qualmende, verbogene Baugerüst klebte wie eine Brandblase an der verbliebenen Außenmauer. Der Feuerschein hinter den Fenstern im Turm wurde stärker und satter, dann brach das Feuer durch das Dach. Wie eine Faust, aus der noch eine wuchs und noch eine, schob sich eine glühend rote Feuerwolke mit schwarzem Qualm in den blauen Himmel. Gleichzeitig stürzte der bisher noch aufrechte Teil der seitlichen Außenmauer in den Rio, das Wasser verdampfte zischend. Die weiße Gerüstplane der Frontmauer war in Fetzen gerissen, die sich unter Wasserdruck und Feuerhauch zu ständig neuen Figuren formten. Ein Mensch mit hoch erhobenem Kopf, das Gespenst Wullekopf, ein in Fesseln zusammengesunkener Mann, eine winkende weiße Frau. Am Fondamenta Zattere Ponte Lungo war es still geworden. Außer den Kommandos der Wasserpolizei unten im Canale und dem Klicken der Fotoapparate war kein Laut zu hören. Die Spannung löste sich erst im Geknatter eines zweiten zur Hilfe eilenden Hubschraubers auf. Der Wolf fluchte leise. Auch er hatte fotografiert. Als die Flammen durch das Dach schlugen, war der Film aus. Der Wolf wollte den Film schnell wechseln, riss das Gehäuse auf und sah, dass er auf das Zurückspulen des eingelegten Films vergessen hatte. Diesmal schwieg die Wolf.
    Den Hubschraubern gelang es, die Flammen einzudämmen. Als von der anderen Seite des

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