Hohle Köpfe
Herren – und Damen –, ich versichere
euch, daß mir nichts von einem Auftrag bekannt ist, der den Patrizier
betrifft. Außerdem kann ich mir nicht vorstel en, daß ein Assassine in
diesem Fal Gift benutzen würde. Seine Lordschaft hat einige Zeit in
* Das war der euphemistische Name. Viele Leute sagten: »Sie nennen sich ›Näherinnen‹ – hehe.«
unserer Schule verbracht. Er kennt die Tugend der Vorsicht. Zweifel os
wird er sich erholen.«
»Und wenn nicht?« fragte Frau Palm.
»Niemand lebt ewig«, sagte Witwenmacher im ruhigen Tonfal eines
Mannes, der aus persönlicher Erfahrung weiß, daß diese Worte eine un-
umstößliche Tatsache beschreiben. »Wenn Lord Vetinari stirbt, bekom-
men wir einen neuen Herrscher.«
Es wurde sehr still im Raum.
Die Frage »Wer?« hing unausgesprochen in der Luft.
»Die Sache ist… die Sache ist…«, sagte Gerhardt Socke, Oberhaupt
der Fleischergilde. »Ich meine, ihr müßt zugeben, daß es… äh… Erin-
nert euch nur an einige von Lord Vetinaris Vorgängern…«
Diesmal drängten sich gleich mehrere Worte ins Gruppenbewußtsein:
»Zum Beispiel der verrückte Lord Schnappüber – Lord Vetinari ist we-
nigstens nicht komplett übergeschnappt.«
»Eins steht fest«, ließ sich Frau Palm vernehmen. »Unter der Herr-
schaft des gegenwärtigen Patriziers ist es auf den Straßen weitaus siche-
rer.«
»Du mußt es ja wissen, Verehrteste«, kommentierte Herr Socke. Frau
Palm bedachte ihn mit einem frostigen Blick. Einige Zuhörer kicherten.
»Ich wol te auf folgendes hinweisen«, betonte Frau Palm nicht ohne eine gewisse Schärfe. »Eine kleine Zahlung an die Diebesgilde genügt, um
vollständige Sicherheit zu gewährleisten.«
»Das ist noch nicht al es«, warf Herr Socke ein. »Heute kann ein Mann
ein Freudenh…«
»Ein Haus käuflicher Zuneigung«, verbesserte Frau Palm sofort.
»… besuchen, ohne befürchten zu müssen, splitterfasernackt und blau
geschlagen zu erwachen.«
»Es sei denn, das entspricht den persönlichen Wünschen des Betref-
fenden«, sagte Frau Palm. »Unser Ziel ist es, die Gäste zufriedenzustel-
len. Um das zu erreichen, scheuen wir keine Mühe.«
»Unter Vetinari ist das Leben… verläßlicher«, meinte Herr Potts von
der Bäckergilde.
»Er hat al e Pantomimen und Schauspieler der Straßentheater in die
Skorpiongrube werfen lassen«, rekapitulierte Herr Boggis von der Die-
besgilde.
»Stimmt. Aber vergessen wir nicht, daß er auch seine schlechten Seiten
hat. Manchmal kann er recht launisch sein.«
»Was man von Schnappüber nicht gerade behaupten kann«, brummte
Herr Socke. »Wißt ihr noch, wie er sein Pferd zum Stadtrat ernannte?«
»Eigentlich war es gar kein so schlechter Stadtrat, im Vergleich mit ei-
nigen anderen.«
»Wenn ich mich recht entsinne, waren die anderen eine Blumenvase,
ein Haufen Sand und drei Enthauptete.«
»Erinnert ihr euch an al die Auseinandersetzungen?« fragte Boggis.
»Kleine Gruppen von Dieben bekämpften sich. Erstaunlich, daß sie ge-
nug Energie übrig behielten, um zu stehlen.«
»Jetzt ist alles… zuverlässiger.«
Wieder wurde es still. Darauf lief alles hinaus. Die Dinge waren zuver-
lässiger. Was auch immer man über den alten Vetinari sagen konnte: Er
sorgte dafür, daß dem Heute ein Morgen folgte. Wenn man im eigenen
Bett ermordet wurde, steckte wenigstens ein offizieller Auftrag dahinter.
»Unter Lord Schnappüber war al es viel aufregender«, sagte jemand.
»Ja, und man konnte die Aufregung genießen, bis man schließlich den
Kopf verlor.«
»Das Problem ist, daß man in dem Job verrückt wird «, gab Boggies zu bedenken. »Ein Bursche, der nicht schlimmer ist als jemand von uns,
fängt bestimmt schon nach einigen Monaten an, mit Moos zu reden und
Leuten bei lebendigem Leibe die Haut abziehen zu lassen.«
»Vetinari ist nicht verrückt.«
»Kommt ganz darauf an, wie man die Sache sieht. Niemand kann so
vernünftig sein wie er, ohne komplett den Verstand verloren zu haben.«
»Ich bin nur eine schwache Frau«, behauptete Frau Palm, was einige
der Anwesenden dazu veranlaßte, skeptisch die Brauen zu wölben, »aber
mir scheint, daß sich hier eine Chance bietet. Entweder es kommt zu
einem langen Kampf um die Nachfolge, oder wir entscheiden hier und
jetzt darüber.«
Die Gildenoberhäupter versuchten, sich gegenseitig zu mustern und
gleichzeitig die Blicke ihrer Kollegen zu meiden. Wer mochte zum neuen
Patrizier werden? Früher hätte
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