Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
der Tschechoslowakei oder vielleicht schon in China oder Afrika? Hatte ich mein Studium beendet, oder war ich in Schwierigkeiten geraten?
Meine Familie hatte keine Ahnung. Kein Lebenszeichen. Meine Mutter weinte viel damals und stand große Ängste aus, denn sie fürchtete, dass ich tot sei. Die Sorge um ihren Sohn hinterließ körperliche Spuren. Die Haare fielen ihr aus, sie war sehr nervös, nahm dramatisch ab und litt unter Schlaflosigkeit. In dieser Zeit trösteten sie vor allem ihre beiden Enkelkinder.
Nachdem ich Ende 1990 endlich meinen Pass wiederbekommen hatte, versuchte ich sofort, ein Visum für Kuba zu beantragen. In der kubanischen Botschaft in Prag sagte man mir, ich müsse erst das Flugticket besorgen, bevor der Antrag gestellt werden könnte. Also kaufte ich ein Ticket. Doch als ich ein paar Wochen später mein Visum abholen wollte, teilte man mir mit, dass es noch nicht ausgestellt sei. Im Prinzip war das nur ein Spiel, denn man wollte mich von Anfang an nicht einreisen lassen. Und somit war die Chance vertan, meine Familie wiederzusehen .
Die Ungewissheit machte mich manchmal fast verrückt. Ich lebte in zwei parallelen Welten: In Gedanken war ich in Kuba bei meiner Familie, die schwere Zeiten durchmachte. Und in der Realität entdeckte ich eine wunderbare neue Welt. Um zu überleben, errichtete ich eine gedankliche Mauer zwischen diesen beiden Welten – als eine Art Selbstschutz . Schon als Kind hatte ich eine solche Mauer um mich herum aufgebaut, um mein zweites Ich zu schützen, denn alles Schlechte prallte an dieser Mauer ab. Egal was die anderen sagten, hinter dieser Mauer konnte mich nichts treffen. Ich fühlte mich so einsam ohne meine Familie, so tief verletzt und wütend, weil ich kein Lebenszeichen erhielt. Die imaginäre Mauer half mir, Kuba im Herzen zu tragen und trotzdem allein in dieser großen neuen Welt zurechtzukommen. Ich sagte mir: »Jorge, deine Familie ist in Kuba, und du bist in Europa. Jetzt musst du alles tun, um deinen eigenen Weg zu gehen. Und vielleicht kannst du die Mauer irgendwann einreißen. So wie das bisher immer funktioniert hat.«
Im Sommer 1992 fuhr meine gesamte Familie – Mama, Papa, Geschwister, Tanten, Onkeln, Cousinen – an einem Wochenende nach Trinidad, einer wunderschönen alten Stadt an der Südküste Kubas mit traumhaften weißen Palmenstränden, die nur eine Stunde von Jatibonico entfernt ist. Einem meiner Onkel war dort für seine gute Arbeit vom Staat ein kleines Häuschen zur Verfügung gestellt worden, sodass meine Familie trotz Wirtschaftskrise ein paar Tage in der Illusion eines schönen Lebens verbringen konnte. Sonne, Strand und Salsa – die Schönheit der Natur und die Musik waren der einzige Reichtum, den man den Kubaner nicht nehmen konnte. Mit von der Partie war auch meine Tante Fela – ihr erinnert euch, der Feldwebel, der mich als Fünfjährigen zwang, ordentlich zu essen und Milch zu trinken.
Eines Nachmittags lag neben ihr am Strand eine junge Kubanerin, etwa Ende zwanzig, die – wie meine Tante mitbekam, vor einigen Jahren wegen eines Jobs in die Tschechoslowakei gegangen war, sich in einen Tschechen verliebt und ihn geheiratet hatte und seither dort lebte. Deshalb konnte sie problemlos nach Kuba reisen und ihre Familie besuchen. Und den vom Rest der Welt abgeschnittenen Insulanern viele Sachen mitbringen, darunter auch Modemagazine und Klatschzeitschriften.
Meine Tante beobachtete die junge Frau und ihre Mutter, wie sie in diesen Magazinen, die es auf Kuba nicht gab, blätterten und sich unterhielten. Sie wurde neugierig, wie alle in Kuba, wenn sie etwas aus dem Ausland sahen. Da sagte die Mutter der jungen Frau auf einmal: » Mi cariño , mein Schatz, wer ist Jorge González?«, und dabei deutete sie auf eines der Fotos in der Zeitschrift.
Meine Tante spitzte die Ohren, als sie den Namen hörte.
»Mama, das ist der Kubaner, von dem ich dir erzählt habe. Der hat bei uns mit Mode zu tun«, antwortete die junge Frau.
In dem Moment konnte meine Tante sich nicht mehr zurückhalten, stand auf und ging zu den beiden Frauen. »Entschuldigung, wie heißt der Mann, von dem Sie eben gesprochen haben?«
»Jorge González.«
»Dios mío , mein Gott«, sagte meine Tante aufgeregt, »darf ich das Foto sehen?«
» Dios mío «, murmelte sie wieder, als sie das Bild in der Zeitschrift sah, die eine der Frauen ihr gereicht hatte. »Das … das ist mein Neffe. Wir haben seit fast zwei Jahren nichts mehr von ihm gehört.«
»Ach«,
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