Holst, Evelyn
Aber ich frag mal Luna.“
Sie legte auf und seufzte. Sie war eine schlechte, schlechte Mutter. Wie konnte sie Maltes sechsten Geburtstag komplett vergessen? Seit Wochen sprach Luna von nichts anderem. Sie hatten Marius überredet, die Party nicht, wie eigentlich geplant, mit Topfschlagen und Bonbonwettessen bei sich zu Hause zu veranstalten, sondern in die „Foxy Spiel- und Spaßscheune“ zu verlegen, einer riesigen Halle mit Trampolins, Riesenrutschen und Legoschloss. Sie hatte Marius natürlich versprochen, mit ihm an einem der „Elterntische“ zu sitzen und gemeinsam auf die insgesamt zwölf kleinen Gäste ein wachsames Auge zu haben. „Ich kann doch noch mit dir rechnen, Leonie?“
„Klar doch, Marius“, sagte sie schnell. „Und ’tschuldigung, dass ich dich in der letzten Zeit ein bisschen vernachlässigt habe, ich bin einfach ...“ Eine kleine, lastende Stille entstand zwischen ihnen, die jeder mit anderen Worten füllte. Unfallgeschädigt, dachte Marius, erschöpft, überreizt, bist du. Seit dem Unfall nicht mehr die fröhliche, unkomplizierte Leonie, in die ich mich so unsterblich verliebt habe. Verliebt, dachte Leonie und war froh, dass Marius das breite Lächeln auf ihrem Gesicht nicht sehen konnte. Ich bin verliebt! Die dunklen Gedanken, die an die Oberfläche wollten, drängte sie energisch zurück. „Was hast du gesagt, Marius?“ Am anderen Ende hörte sie es leise seufzen. „Ich hab gar nichts gesagt, Leonie, ich hab nur geseufzt.“ „Und wieso hast du geseufzt?“ „Nur so“, meinte er. „Also Samstag um 15 Uhr. Bring bitte eine große Thermoskanne mit Kaffee für die Erwachsenen mit.“ „Und Gummibärchen“, lachte sie und legte auf. Als es eine Minute später wieder klingelte, riss sie mit einem „Was ist denn jetzt noch, Marius?“ den Hörer wieder hoch. „Ich bin’s“, sagte eine Stimme, die sofort ihr Herz zum Rasen brachte. „Ich wollte einfach nur mal deine Stimme hören.“
27. Kapitel
Das Schild „Kosack und Partner“ auf der schweren Kanzleitür war so blank geputzt, dass sich Leonie kurz in ihm spiegelte und ihre Lippen nachzog, bevor sie die breite Klinke herunterdrückte. Sie wollte so gut wie möglich aussehen, souverän und selbstbewusst wirken. Als sie eintrat, sah die junge, sehr elegante Rezeptionistin, die hinter einem riesigen Mahagonischreibtisch saß und an einem Computer arbeitete, hoch und lächelte sie fragend an. Zögernd, etwas eingeschüchtert, trat Leonie näher. „Ich habe einen Termin bei Dr. Kosack“, sagte sie und räusperte sich schnell einen kleinen Kloß von den Stimmbändern. „Ich heiße Leonie Baumgarten.“
Kurz darauf saß sie einem weißhaarigen, aber sehr rüstigen Mann gegenüber, der nach einem „Setzen Sie sich bitte, Frau Baumgarten“ in einem dicken Aktenordner blätterte.
„Frau von Lehsten wird jeden Augenblick erscheinen“, sagte er schließlich. „Darf ich Sie fragen, warum Sie ohne Anwalt gekommen sind? Sie wollen sich doch nicht etwa selbst vertreten?“ Er lachte ein hohes, und wie Leonie fand, ziemlich unangenehmes Lachen.
„Ich kann mir keinen Anwalt leisten“, sagte sie schlicht. „Deshalb habe ich auch keine Rechtsschutzversicherung.“ Dr. Kosack war für ein paar Sekunden fassungslos, dann fand er sein Lächeln wieder. „Das wird schwierig sein“, sagte er dann. „Ich fürchte nämlich es wird einiges auf Sie zukom...“
Sie sahen beide die große, schlanke, makellos zurechtgemachte Frau gleichzeitig. „Frau von Lehsten, pünktlich wie immer“, säuselte der Anwalt, den Leonie von Sekunde zu Sekunde unangenehmer fand. „Frau Baumgarten ist auch schon ...“
„Ich habe Augen im Kopf, wir kennen uns“, winkte Marion ab und gab Leonie eine kühle Hand. Die beiden Frauen musterten sich. „Wir kennen uns“, flüsterte Leonie, und während sie mit ihrer Verlegenheit kämpfte, fühlte Marion eine Welle von Hass, so stark, so heiß, dass ihr richtig übel wurde. Ein Schwindelgefühl drohte sie zu überwältigen. „Ja, wir kennen uns“, wiederholte Marion scharf. „Sie sind die Frau mit dem Gipsbein, die ständig im Zimmer meines Mannes herumgelungert ist.“ „Ich bin, ich wollte doch nur ...“, stammelte Leonie, aber Marion war ohne ein weiteres Wort nach draußen gestürzt.
Dr. Kosack sah Leonie mit schmalen, unfreundlichen Augen an. „Während wir warten, liebe Frau Baumgarten“, sagte er und sah sie an, streng und mit einer Spur Verachtung, „teile ich Ihnen schon mal mit,
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