Holst, Evelyn
wem“, sagte sie nur. „Ja, ich weiß, von wem“, antwortete er und konnte ein paar Atemzüge lang nicht weiterreden. „Was wirst du Hendrik sagen?“ Auch sie brauchte für ihre Antwort ein paar Sekunden, in denen er sie scharf beobachtete, weil in ihnen sein Schicksal lag. „Ich werde ihm sagen, dass er Vater wird“, sagte sie endlich. In dieser Sekunde spürte er gar nichts. Nur eine fast unwirkliche Leere, von der er bereits ahnte, wie sie später, wenn er allein und sie bei Hendrik war, in einen so unerträglichen Schmerz umkippen würde, dass er sich sinnlos betrinken würde. Er spürte etwas Weiches und sah, dass sie seine Hand ergriffen hatte und sie streichelte. „Weißt du eine andere Lösung, Ludwig?“, ihre Stimme klang weich und so traurig, dass er ihr seine Hand ließ, obwohl er ihre sanfte Berührung kaum ertrug. „Du könntest ihm die Wahrheit sagen“, meinte er und wusste gleichzeitig, dass auch er mit dieser Wahrheit nicht würde leben können. Lügen war leichter. Nein, Lügen war die einzige Wahrheit.
Plötzlich konnte er die Situation nicht mehr ertragen. Er wollte weg, nur weg, er ertrug ihre Gegenwart nicht mehr. Er zog seine Hand weg und stand auf: „Alles Gute, Marion“, sagte er und verließ das Bistro so schnell, dass sie ihm nicht mehr antworten konnte. Sie sah ihm durchs Fenster nach. Dann straffte sie die Schultern und bestellte einen Kaffee. Schwarz wie der Tod.
Nach dem ersten Schluck, an dem sie sich fast verbrühte, griff sie zu ihrem Handy.
Kein Aufschub mehr.
Hendrik tauchte wie aus weiter Ferne auf, als das hässliche, dunkelrote Telefon mit schwarzer Tastatur auf seinem Nachttisch klingelte. „’Tschuldigung“, murmelte er und griff danach. Leonie stand auf und ging zum Fenster. Ihr Gesicht fühlte sich so heiß an, dass sie es an die kühle Scheibe presste. Ihre Welt stand Kopf. Ihr war schwindelig. Sie drehte sich nicht um, als sie an seiner angestrengten Stimme hörte, dass er mit seiner Frau sprach. „Ja, das ist schön. Wann willst du kommen? Jetzt gleich? Ist es denn so wichtig?“ Als er auflegte, hatte sie bereits ihren Mantel wieder angezogen. Er sagte nichts, sah sie nur an, als sie sich über ihn beugte und auf die Stirn küsste. „Ich liebe dich, Hendrik“, sagte sie. „Ich liebe dich mehr als mein Leben.“ „Ich liebe dich auch, Leonie“, wollte er sagen, aber da war sie schon gegangen.
25. Kapitel
Welcher Idiot hat behauptet, dass schwangere Frauen ganz besonders schön sind?, dachte Marion, als sie sich ein letztes Mal im Autospiegel musterte, bevor sie ausstieg und auf die Rehaklinik zuging. Sie fühlte sich grau, schwach, unfroh und war sicher, dass sich alles in ihrem Gesicht abzeichnete. Mag sein, dass ihr unwilliger Körper von Schwangerschaftshormonen durchflutet wurde, sie selbst merkte noch gar nichts. Auch ihre Brüste spannten nicht mehr. Mein Baby macht sich unfühlbar, damit ich es nicht abtreibe, ging ihr flüchtig durch den Kopf und unwillkürlich legte sie wie schützend ihre rechte Hand auf den Bauch. Dir passiert nichts, mein kleiner Liebling, flüsterte sie, du bist doch ein Teil des Mannes, den ich liebe. Und auch der Mann, der dein Vater sein wird, wird dich über alles lieben. Und dann klopfte sie.
„Herein“, seine Stimme klang fest und fröhlich.
Sie holte tief Luft und trat ein.
Er saß im Bett und las und einen kurzen Moment wunderte sich Marion, wie entspannt er unter den gegebenen Umständen aussah. Er wirkte wie ein Mann, der in einer eleganten Hotellobby auf seine Geliebte wartete, nicht wie ein Patient in einer Rehaklinik. „Hallo Marion, sieht man sich schon wieder“, er klopfte neben sich aufs Bett. „Setz dich, fühl dich wie zu Hause.“
„Du siehst gut aus, Hendrik“, sagte sie und als sie sich aufs Bett setzte, glaubte sie sekundenlang, einen fremden Duft zu riechen. Ein Frauenparfüm. „Hast du vor mir Besuch gehabt?“, fragte sie und wunderte sich über den kurzen Stich einer Eifersucht, den sie verspürte. „Die Krankenschwestern lieben mich, Marion“, lächelte er. „Wundert dich das?“ „Im Gegenteil“, erwiderte sie. „Ich weiß doch, was für ein Schwerenöter du sein kannst. Bin ja schließlich auch auf dich hereingefallen.“ Sie sahen sich an und einen kurzen Moment war es wie früher zwischen ihnen. Sie erkannten die Liebe wieder, die sie einmal füreinander gespürt hatten. Und sie erkannten gleichzeitig, dass diese Liebe vorbei war. Aber keiner fand das erlösende
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