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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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Plattenweg auf Eivind Torsviks Haus
    zulief. Vestfold war der schönste Regierungsbezirk im Land. Gelbe Felsen
    zogen sich ins frische, graublaue Wasser hinein. Die Bäume hatten in den
    letzten Tagen energisch ausgeschlagen, hellgrüne Kronen ragten dem Sommer
    entgegen, der im Moment wirklich hinter der nächsten Ecke zu warten schien.
    Im Gras wimmelte es nur so von Leberblümchen. Das Licht tat ihr in den
    Augen weh, und Hanne setzte eine Sonnenbrille auf. Sie blieb stehen und
    schaute von der Terrasse aus aufs Meer. Sonnenreflexe spielten im seichten
    Fjord. Ein Junge im Stimmbruch rief von einem dreißig Meter entfernten In-
    selchen seinem Kumpel an Land etwas zu. Beide lachten. Das Lachen wurde
    weitergetragen und hallte über den schmalen Hamburgkilen wider.
    »Schön, daß Sie kommen konnten. Und so schnell!«
    Hanne Wilhelmsen fuhr zusammen, als sie ihn hörte, und drehte sich um.
    Auch Eivind Torsvik trug eine Sonnenbrille. Die Bügel waren sehr lang, hinten
    gebogen und mit einem Gummi aneinander befestigt.
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    »Clever«, sagte sie spontan und zeigte auf die Brille.
    Er lachte; ein faszinierendes, kindliches Lachen, das ihr ein breites Lächeln
    entlockte.
    »Das haben noch nicht viele gesagt«, sagte er und lachte noch einmal.
    Er zeigte auf die Sonnenwand mit dem Panoramafenster. Zwei große
    Holzstühle waren dort seit Hannes erstem Besuch aufgestellt und mit
    blauweißgestreiften Kissen versehen worden. Hanne setzte sich auf den einen
    und hob ihr Gesicht in die Sonne. Es war noch keine halb vier Uhr
    nachmittags. Ihre Wangen brannten.
    »Es ist wunderschön hier«, sagte sie leise. »Und Sie haben wirklich ein
    phantastisches Haus.«
    Eivind Torsvik setzte sich wortlos neben sie. Er legte sich eine Decke um die
    schmalen Schultern, und Hanne konnte durch das Tuckern eines langsam
    vorüberfahrenden Bootes seinen regelmäßigen Atem hören. Sie schloß die
    Augen hinter ihrer Sonnenbrille und fühlte sich unsäglich müde.
    Er hatte alles so dringend gemacht. Als er angerufen hatte, hatte sie ihn
    gebeten, nach Oslo zu kommen. Eivind Torsvik hatte sein Verständnis für
    Hanne Wilhelmsens Arbeitssituation zum Ausdruck gebracht, diese Bitte dann
    aber aufs Entschiedenste abgelehnt. Er habe die Gegend um Sandefjord seit
    vielen Jahren nicht verlassen, erzählte er, und so solle es auch bleiben. Wenn
    sie hören wolle, was er über Evald Bromo zu erzählen hätte, dann müsse sie zu
    ihm kommen. Persönlich und allein. Mit anderen wolle er nicht reden.
    Jetzt saß sie neben diesem seltsamen Knabenmann und hätte einschlafen
    können. Eivind Torsviks Gesellschaft war ihr angenehm; der ewige Druck
    hinter den Augen ging zurück, und ihre Schultern senkten sich. Sie hatten
    zwar nur wenige Worte gewechselt, als sie am vergangenen Samstag
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    höchst unangebracht in die Privatsphäre dieses Mannes eingedrungen war,
    aber sie hatte doch das Gefühl, ihn schon lange zu kennen.
    Eivind Torsvik war ein Mann, der sich und das Seine von allen anderen
    abschirmte. Seine schriftstellerische Tätigkeit ermöglichte wohl solch eine
    Einsamkeit; er brauchte sich kaum mit anderen Menschen abzugeben. Eivind
    Torsvik brauchte niemanden. Hanne ertappte sich bei dem Gedanken, daß sie
    ihn beneidete, dann nickte sie ein.
    Sie mußte einige Minuten geschlafen haben, denn als sie aufwachte, stand er
    mit einer dampfenden Teetasse und einer weiteren Decke über dem Arm vor
    ihr.
    »Hier«, sagte er und reichte ihr beides. »Nachmittags kann es kühl werden.
    Und jetzt erzähle ich Ihnen, was ich hier draußen wirklich mache.«
    Er nahm auch sich selbst eine Tasse Tee und setzte sich, während er den
    Zucker verrührte.
    »Was ist für Sie das Schlimmste an der Arbeit bei der Polizei?« fragte er mit
    sanfter Stimme so leise, daß Hanne ihn kaum verstand. »Das Allerschlimmste
    dabei, der Arm des Gesetzes zu sein, meine ich.«
    »Die Strafprozesse«, sagte sie sofort. »Daß es so viele Regeln gibt. Daß wir
    soviel nicht dürfen, meine ich. Nicht einmal dann, wenn wir ganz sicher
    wissen, daß jemand schuldig ist.«
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte er mit einem zufriedenen Nicken.
    Der Tee schmeckte ein wenig nach Zimt und Äpfeln. Hanne hielt sich die Tasse
    ans Gesicht und sog den leichten Dampf ein.
    »Soll ich Ihnen erzählen, warum ich schreibe?«
    Er starrte sie an und schob seine Sonnenbrille hoch, bis sie fest vor seiner
    Stirn saß. Hanne nickte ruhig und trank einen Schluck.
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    »Weil ich ein Leben

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