Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
um genau zu erfahren, wohin er
gehen mußte, um das Gewünschte zu finden.
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Sieben Jahre zuvor hatte eine Streife zwei Mädchen von vielleicht zwölf Jahren
auf dem Straßenstrich aufgelesen. Sie waren übertrieben geschminkt, und eine
hatte so schrecklich geweint, daß eine Kollegin von der Wache mit ihr zum
Arzt gegangen war. Die andere war in Iver Feirands Büro sitzengeblieben,
hatte ihn frech gemustert und Kaugummi gekaut, während sie auf das
Jugendamt warteten.
Aufgegriffene Kinder durften nicht ohne einen vom Jugendamt bestimmten
Vormund verhört werden. Aber niemand konnte Iver Feirand das Plaudern
verbieten. Vielleicht war die Kleine schon so zerstört, daß ihr sexualisiertes
Verhalten sich automatisch einstellte. Auf jeden Fall versuchte sie immer
wieder, sich ihre Freilassung zu erfeilschen; an ihr sollte es nicht liegen, wenn er Lust hatte, sie in eine Wohnung zu begleiten, die sie kannte und die derzeit
unbewohnt war.
Als die Alte vom Jugendamt kam und das Kind mitnahm, fiel ihm eine
Visitenkarte auf dem Stuhl auf, dort, wo der schmale Mädchenhintern
gesessen hatte, der jetzt auf aufreizende Weise aus dem Zimmer getragen
wurde. Evald Bromos Visitenkarte. Iver Feirand wollte wissen, was dieser
Mann mit einer zwölfjährigen Prostituierten zu tun hatte, und lud den
Journalisten zu einem Gespräch vor.
Bromo brach vollständig zusammen.
Er konnte nicht begreifen, woher die Kleine seine Visitenkarte hatte. Iver
Feirand nahm an, daß der Mann so blöd gewesen war, sie in seiner Erregung
über zwei schmale Mädchenschenkel zu verlieren. Das wunderte ihn sehr;
alles, was Evald Bromo erzählte, wies daraufhin, daß dieser Mann ungeheuer
vorsichtig vorging und ungewöhnlich lange ungeschoren davongekommen
war. Doch Feirand sagte nichts. Er legte die Daumenschrauben an; Iver
Feirand brachte die meisten nach einem halben Stündchen zum Plappern.
Evald Bromo sagte zuviel.
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Evald Bromo erzählte von einem Kontakt, von dem Iver Feirand nichts hören
wollte. Uber einen Lateinamerikaner mit einer Art Filiale in Kopenhagen.
Dieser Mann war Iver Feirands private Verbindung. Evald Bromo kannte Iver
Feirands sexuellen Zufluchtsraum.
Iver Feirand verfugte über einzigartige Kenntnisse der pädophilen Psyche. Er
war ein hervorragender Polizist mit gutem Instinkt und scharfem Verstand.
Außerdem kannte er sich selbst. Und hatte im Laufe von fünfzehn Jahren die
beste Weiterbildung erhalten, die die Polizei in Europa und den USA anbieten
konnte. Er wußte alles, was es über pädophile Organisationen, Ringe, Klubs
und Einzelpersonen zu wissen gab. Nie hatte er deshalb die Entlarvung
gefürchtet.
Bis Evald Bromo ihn zu der Erkenntnis gebracht hatte, daß auch noch andere
Pedro Diez und dessen Keller in der königlichen Stadt kannten.
Die Vernehmung hatte eine andere Wendung genommen.
Bromo war ein Schwächling. Bromo gehörte zu den Menschen, die im ewigen
Spannungsfeld zwischen der lähmenden Angst vor der Entlarvung und dem
heimlichen Wunsch lebten, an dem gehindert zu werden, was sie auch selbst
als Verbrechen erkannten. Als er nun schon auf der Wache saß, strömten
Geständnisse, Namen, Adressen und Daten nur so aus ihm heraus.
Wenn Iver Feirand mit seinen Ermittlungen gegen Bromo weitergegangen
wäre, wäre der Name Pedro Diez auch noch anderen zu Ohren gekommen.
Bromo hatte so viel zu erzählen, daß er vier Ermittler für lange Zeit be-
schäftigen konnte. Der Keller in Kopenhagen würde auffliegen. Doch das wäre
noch nicht das Schlimmste. Iver Feirand hatte noch andere Kontakte, andere
Namen, andere Adressen, noch weiter entfernt und noch sicherer.
Das Gefährliche war, daß Evald Bromo alle Karten auf den Tisch legte.
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Evald Bromo würde der Polizei eine Spur geben, die diese zu Iver Feirand
führen konnte. Wenn die dänische Polizei sich über Diez' Filiale in dem alten,
ehrwürdigen Gebäude an den Kopenhagener Seen hermachte, dann konnte
Iver Feirands Identität auftauchen. Nicht namentlich natürlich; er war immer
ohne Papiere gereist, aber wer konnte schon wissen, welche Beschreibungen
dann erfolgen würden. Sein zwei Meter langer, athletischer Körper und die
blonden, fast weißen Haare konnten ihm Probleme machen. Besser, die Sache
auf sich beruhen zu lassen.
Weshalb er Evald Bromo laufenließ.
Nicht nur ließ er den Mann ungeschoren davonkommen, er hielt ihn danach
an einem strammen Zügel. Er wußte immer, was er von ihm zu halten
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