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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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Atem, während er versuchte, auch in diesem Rhythmus zu
    atmen. Dann legte er sich leise neben sie, deckte sie beide zu und schloß die
    Augen.
    »Ich habe solche Angst um mich selbst.«
    Häkon Sand fuhr aus dem Schlaf hoch und empfand einen Moment lang
    Angst, dann wußte er wieder, wo er war. Hanne lag noch so da wie vorhin; auf
    dem Bauch, die Arme an den Seiten, das Gesicht abgewandt. Die Decke lag
    neben ihr auf dem Boden.
    »Ich habe das Gefühl, in dem, was früher einmal ich selber war, gefangen zu
    sein. In allem, was ich getan habe. In allem, was ich bereue.«
    Häkon hustete leise, stützte sich auf einen Ellbogen und ließ das Gesicht in
    seiner Hand ruhen. Die andere Hand wanderte zu Hannes Kreuz. Dort
    streichelte er sie langsam, immer in Kreisbewegungen.
    »Es kommt mir vor, als wollte ich weg von mir selbst. Als versuchte ich
    wegzulaufen. . . «
    Sie seufzte und rang um Atem.
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    »Meinem Schatten wegzulaufen. Es geht nicht. Ich würde gern alles
    auswischen und neu anfangen. Aber es ist zu spät. Es ist schon seit vielen
    Jahren zu spät.«
    Sie schniefte leise, drehte sich auf die Seite und kehrte ihm den Rücken zu. Er
    wußte nicht, ob sie sich damit von seiner Hand befreien wollte. Er schwieg
    noch immer. Das Zimmer war stickig, und im Lichtspalt unter der Tür konnte
    er den Staub tanzen sehen. In der Ferne war ein Motorrad zu hören, das den
    Gang wechselte. Dann war es wieder still, und ihm fielen die Augen zu.
    Plötzlich sagte Hanne: »Wenn ich allein bin, denke ich nur an alles, was in
    Stücke gegangen ist. Freundschaft. Liebe. Das Leben. Alles.«
    »Aber«, sagte Häkon zaghaft.
    »Sag nichts«, bat sie leise. »Bitte, sag nichts. Sei einfach nur hier.«
    Jetzt krümmte sie sich in Embryostellung zusammen, und er mußte einfach
    ihre Haare streicheln.
    »Du hast recht«, flüsterte sie. »Ich bin eine Idiotin. Eine. . . eine Zerstörerin.
    Eine, die kaputtmacht. Das einzige, was mir in diesem Leben gelingt, ist die
    Arbeit bei der Polizei. Und das ist wahrlich im Moment eine Hilfe. Eine große.
    Cecilie ist sicher froh darüber.«
    Vorsichtig beugte er sich über sie und hob die Decke vom Boden auf. Dann
    schmiegte er sich an ihren zusammengekrümmten Leib. Er spürte ihr
    Rückgrat an seinem Bauch und merkte, wie mager sie geworden war. Er
    drückte sie an sich und flüsterte sinnlose Worte in ihre Haare. Ihre Hand
    umschloß seine, und erst, als ihr Zugriff sich lockerte, merkte er, daß sie
    wieder eingeschlafen war. Ihren Atem konnte er kaum spüren.
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    Sie lag seit einer halben Stunde da und starrte die Decke an. Sie zählte
    Sekunden, um festzustellen, wie lange sie die Augen offenhalten konnte, ohne
    zu zwinkern. Die Reflexe erwiesen sich als stärker als ihr Wille; jedesmal und
    immer. Vorsichtig drehte sie sich im Bett um. Häkons schütterer Pony war
    schweißnaß und klebte an seiner Stirn. Er schlief tief und unbequem in seinen
    Kleidern. Die Decke lag wie eine Wurst über seiner Hüftpartie, und Hanne
    sah, daß er nicht einmal die Turnschuhe ausgezogen hatte. Sein Mund stand
    offen, und er schnarchte. Vermutlich hatte sie das geweckt. Sie hatte sich an
    nichts erinnert. In der ersten wachen Sekunde hatte sie sich gefühlt wie an
    jedem anderen Morgen; leer — weder gut noch schlecht. Dann brach der
    Vortag über sie herein. Sie konnte kaum atmen. Verzweifelt versuchte sie, die
    Augen unendlich lange offen zu halten. Aber auch das gelang ihr nicht.
    Sie schaute auf die Uhr.
    Halb sieben.
    Sie wollte nicht duschen. Der scharfe Geruch von Streßschweiß und altem
    Parfüm, das nicht ihres war — aber das ihr bei jedem Atemzug ins Herz schnitt
    -, erschien ihr als passende Strafe. Auf jeden Fall als Anfang einer Strafe. Sie zögerte einen Moment, dann beschloß sie, keinen Zettel zu schreiben. Statt
    dessen legte sie die Reserveschlüssel gut sichtbar auf den Dielentisch. In
    Kleidern, die sie einen ganzen Tag getragen und in denen sie zu allem
    Überfluß auch geschlafen hatte, legte sie den Weg zum Gronlandsleiret 44 in
    einer knappen Viertelstunde zurück.
    Da stand das Polizeigebäude, unveränderlich, gekrümmt und grau.
    Als sie ihre Schlüsselkarte durch das Lesegerät zog und die
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    Jvletalltür, die den Personaleingang nach Westen hin verschloß, öffnete, hatte
    sie das Gefühl, sich an Bord eines lecken Rettungsbootes zu begeben. Als sie
    durch die Flure lief und das riesige Foyer erreichte, das sich sechs Stock hoch
    hinzog, trat sie in die Mitte, statt

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