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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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Zentimeter
    von der Fensterscheibe entfernt war.
    Sie sah ihn nicht einmal an. Beim dritten Versuch sprang der Wagen an und
    rollte langsam auf die Straße, ohne daß sie Billy T. eine Mitfahrgelegenheit
    angeboten hätte.
    Er drehte sich um und ging zu dem Teil des Parkplatzes, der eigentlich für
    Behinderte reserviert war. Dort wartete ein Streifenwagen. Halvorsrud saß
    bereits auf dem Rücksitz. Auf der Treppe vor der Kapelle weinte Thea Halvors-
    rud verzweifelt, und zwei unbeholfene Brüder und eine fast hysterische Tante
    versuchten vergeblich, sie zu trösten.
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    Wenn er die Augen schloß, sah er nicht den Sarg seiner Frau. Doch an den
    wollte er denken. Er hatte sich keinen braunen Sarg gewünscht. Niemand
    hatte ihn gefragt, aber aus irgendeinem Grund hatte er ganz sicher mit einem
    weißen gerechnet. Mit einem strahlendweißen Sarg und einem schlichten
    Kranz aus roten Rosen auf dem Deckel. Er hatte das mit bunten Blumen
    überladene braune Holz gesehen — seiner und der Kinder Kranz wurde fast
    verdeckt —, und ihn hatte eine Wut erfüllt, mit der er nicht fertig wurde.
    Er sah das Gesicht seiner Tochter.
    Und öffnete die Augen.
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    Es war hell hier. Das starke, blauweiße Licht, das nichts über die Uhrzeit
    erzählte, würde ihn noch um den Verstand bringen. Er wünschte sich ein
    Fenster. Nur einen kleinen Spalt. Durch den er nicht fliehen konnte, der aber
    ein wenig von der Tageszeit berichten würde. Sie hatten ihm seine Uhr
    weggenommen. Er begriff nicht, warum. Wie er sich mit einem schlichten
    Lederarmband Schaden zufügen sollte, war zu hoch für Sigurd Halvorsrud.
    Wieder senkte er langsam seine Lider.
    Er sah Theas Gesicht. Er sah die großen verweinten Augen. Er sah ihren
    Mund, der lautlos Wörter formte, die er nicht sehen wollte. Er spürte ihre
    Hand in seiner, auf seinem Oberschenkel; ihren ganzen Körper, der sich so
    fest an ihn preßte, daß er fast nicht sitzen bleiben konnte. Er sah ihre Arme,
    die sie nach ihm ausstreckte, als er zum wartenden Streifenwagen geführt
    wurde. Er spürte ihren Blick im Rücken; zwei Strahlen, die sich durch das
    Jackett hindurchbrannten und es ihm schwer machten, aufrecht wei-
    terzugehen.
    Oberstaatsanwalt Sigurd Halvorsrud saß nun in der dritten Woche im
    Hinterhof des Polizeigebäudes. Die Zellen waren kaum dafür geeignet, länger
    als einen Tag bewohnt zu werden. Sie hatten ihm Verlegung angeboten. In ein
    Gefängnis außerhalb der Stadt; sie hatten mehrere Anstalten vorgeschlagen,
    von denen er wußte, daß sie moderner eingerichtet waren. Aber er wollte
    nicht. Er hatte kein Vertrauen zu ihnen. Alles, was sie ansonsten
    unternahmen, kam ihm feindselig vor. Er hatte sich an diesen Raum
    inzwischen gewöhnt. Er wollte im Polizeigebäude bleiben, und das hatten sie
    ihm erlaubt.
    Plötzlich fuhr er hoch. Übelkeit stieg in ihm auf. Von den Füßen her. Sie spülte in harten Wellen durch seinen Leib, und er kam nicht dagegen an. Er erbrach
    sich so plötzlich, daß er sich nicht einmal mehr von seiner harten Pritsche ab
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    wenden konnte. Sein weißes Hemd wurde mit den Resten der beiden
    Frühstücksbrote bespritzt.
    Er wußte nicht mehr, womit die Brote belegt gewesen waren. Bestimmt mit
    Makrele in Tomatensoße. So schmeckte es jetzt aber nicht. Es schmeckte
    bittersüß nach Eisen.
    Sigurd Halvorsrud spuckte fast eine Viertelstunde lang Blut, dann konnte er
    sich zur Tür schleppen und um Hilfe rufen.
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    Hanne Wilhelmsen hatte das Branchenbuch aufgeschlagen. Ihre Hände
    schienen das dicke Buch wie von selbst unter einer alten Nummer von VG
    hervorgezogen zu haben. Sie hätte schwören können, daß nicht sie selbst die
    Rubrik »Psychologen« aufgeschlagen hatte. Sie brauchte keinen Psychologen.
    Sie kannte zu viele von der Sorte.
    Das Buch schloß sich mit einem dumpfen Knall, als Billy T. durch die
    halboffene Tür schaute.
    »Es ist gleich halb sechs«, sagte er. »Und du kommst mit mir.«
    Er streckte die Hand aus, wie um ein widerspenstiges Kind mitzunehmen.
    »Komm schon, komm«, lockte er und grinste breit.
    »Wohin denn«, fragte sie, erhob sich halbwegs und schluckte ein Gähnen
    hinunter.
    Cecilie würde am nächsten Tag aus dem Krankenhaus kommen. Hanne wußte
    nicht so recht, ob sie sich wirklich darauf freute. Natürlich sehnte sie sich nach ihr. In den wenigen Nächten, in denen sie zu Hause geschlafen hatte und nicht
    im Krankenhaus, in der Hoffnung auf mehr als zwei
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    Stunden Dösen, hatte sie sich mit einer

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