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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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Jahren stand allein vor der Versammlung. Er
    trug einen bodenlangen, weißen Kittel, der ihm ein wenig zu groß war. Seine
    Hände hatte er brav vor seinem Bauch gefaltet. Vielleicht war ihm streng
    befohlen worden, sich so hinzustellen, aber sein ausdauerndes
    Däumchendrehen konnte auch darauf hinweisen, daß der Junge einfach
    nervös war und nicht wußte, wohin mit seinen bleichen Fingern. Blonde
    Locken umgaben seinen Kopf wie ein Heiligenschein, und seine Stimme
    wanderte hell und sakral an den nackten gelben Terrakottawänden entlang.
    »Leben ist lieben«, sang der Junge, und damit war die Trauerfeier beendet.
    Billy T. öffnete die Augen.
    Er saß unbequem und gab sich alle Mühe, vor der zahlreich vertretenen
    Trauergemeinde die Kapelle zu verlassen.
    Alle waren gekommen. Der Generalstaatsanwalt saß in der zweiten Bankreihe,
    lang und schlank und offenbar über die harten Bänke ebenso unglücklich wie
    Billy T. Dazu wollten mindestens sechs landesweit bekannte Anwälte Doris Flo
    Halvorsrud die letzte Ehre erweisen, falls Billy T. richtig gezählt hatte. Des
    weiteren befand sich in der Kapelle eine unglaubliche Ansammlung von
    Staatsanwälten sämtlicher Gerichtsinstanzen. Alle zögerten, ehe sie den
    Mittelgang betraten. Alle reckten Rücken und Hals und wollten gesehen
    werden. Von Halvorsrud, der in der ersten Bank saß und sich kaum von seiner
    Tochter befreien konnte, und von einander.
    Nur die Polizei strebte nach Diskretion.
    Am Rande der ersten beiden Bankreihen saßen insgesamt vier in dunkle
    Zivilanzüge gekleidete Polizisten. Ein
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    geübtes Auge hätte sie gleich im ersten Moment identifizieren können. Ihre
    Anzüge schienen ihnen unangenehm zu sein; immer wieder bewegten sie die
    Schultern, zupften an ihren Hosen und verrieten damit, daß sie an eine funk-
    tionellere Kleiderordnung gewöhnt waren. Außerdem hafteten die Blicke der
    Männer anderthalb Stunden lang an Sigurd Halvorsrud. Während alle
    anderen versuchten, ihn nicht anzustarren - was ihnen schwerfiel; die meisten
    waren nur zu neugierig darauf, wie Halvorsrud nach zwei Wochen
    Untersuchungshaft aussah —, richteten die Polizisten schamlos ihre Blicke
    ununterbrochen auf die eigentliche Hauptperson dieser Trauerfeier.
    »Das ist eine seltsame Demonstration«, sagte Billy T. trocken zu Karen Borg,
    als sie auf dem Kiesweg vor der Kapelle auf ihn zukam und mit einer weichen
    Kopfbewegung grüßte.
    »Eine Demonstration«, wiederholte sie tonlos und schaute zur Treppe
    hinüber, wo Halvorsrud die leisen, aber dennoch tiefempfundenen
    Beileidsbekundungen der mehr oder weniger kompletten Anklagebehörden
    entgegennahm. »Wie meinst du das?«
    »O. J. Simpson«, erklärte Billy T. »Alle weißen Amerikaner hielten ihn für
    schuldig. Und alle schwarzen stritten das ab.«
    »Ach was«, sagte Karen Borg gleichgültig.
    »Verstehst du nicht? Die Polizei hält Halvorsrud für schuldig. Die
    Anklagebehörden können das nicht glauben. Um nichts in der Welt. Er gehört
    doch zu ihnen. Juristen gegen Polizei. Die alte Geschichte.«
    Er zupfte sich am Ohrläppchen, in dem das Petruskreuz zur Feier des Tages
    einem kleinen Diamanten hatte weichen müssen.
    »Ziemlich provozierend«, sagte er dann. »Andererseits ist es ja auch ein
    rührender Anblick, daß ihr Juristen auch mal
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    zusammenhalten könnt. Meistens geht ihr einander doch an die Gurgel.«
    Er musterte Karen Borg von Kopf bis Fuß, als habe er sie gerade erst entdeckt,
    und stieß einen leisen Pfiff aus. Sie trug ein schlichtes, anthrazitfarbenes
    Kostüm und eine schwarze, kragenlose Bluse. Uber ihrem Arm lag ein
    Umhang. Ein Riß in der Wolkendecke hatte der Sonne plötzlich, als die
    Menschen anfingen, aus der Kapelle zu strömen, Kraft geschenkt.
    »Gut siehst du aus«, sagte Billy T. und streichelte ihren Jackenärmel.
    »Ebenso«, antwortete sie mit leichtem Lächeln. »Gut, daß du gescheit genug
    bist, dieses schreckliche Satanskreuz bei solchen Anlässen wegzulassen.«
    »Das ist kein Kreuz«, Billy T. seufzte resigniert. »Das ist ein stilisierter
    Thorshammer. Ich habe es so satt. . . «
    Er verstummte. Der Generalstaatsanwalt kam vorbei, nickte langsam und
    bedachte Karen Borg mit einem reservierten Lächeln. Neben ihm gingen zwei
    dunkelgekleidete Männer. So, wie sie sich einen Schritt hinter ihrem Chef hiel-
    ten, konnten sie für Leibwächter gehalten werden; sie gingen mit
    rhythmischen und festen Schritten. Aber da der eine stark übergewichtig war
    und

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