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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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sich
    noch nicht geäußert hatte.
    Doch gerade in diesem Moment, an diesem Freitagnachmittag Ende März, als
    die Uhr auf halb drei zuging, konnte Annmari Skar sich beim besten Willen an
    keinen Paragraphen erinnern, der ihr hier zu Hilfe kommen konnte. War es
    möglich, Einspruch gegen die Ablehnung des Aufschubs zu erheben?
    Hektisch blätterte sie in ihrer Gesetzessammlung. Ihre Hände zitterten, und
    das dünne Papier zerriß, als sie bei der Strafprozeßordnung angekommen war.
    Sie spürte einen Druck im Hals und atmete mühsam. Ihre Finger flogen über
    die Seiten, aber die Buchstaben waren winzig und wollten ihr übel; sie fand
    einfach nichts.
    »Die Verhandlung ist geschlossen.«
    Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch und humpelte zur
    Hintertür.
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    »Er hat es getan«, hörte Billy T. Halvorsrud sagen. »Er hat mich laufen
    lassen.«
    Der Oberstaatsanwalt starrte seine Verteidigerin ungläubig an.
    »Das stimmt«, sagte Karen Borg leise. »Sie können jetzt nach Hause.
    Zusammen mit Thea.«
    153
    Zweiter Teil
    I
    Zum ersten Mal seit Mai 1945 führte Norwegen Krieg. Die NATO hatte mit
    ihren Drohungen ernst gemacht, Slobodan Milosevics serbische Truppen
    sollten mit Gewalt aus dem Kosovo vertrieben werden. Die ethnische
    Säuberung, die sicher mehrere Tausend kosovo-albanische Leben gefordert
    und eine Viertelmillion Menschen heimatlos gemacht hatte, sollte beendet
    werden. Und Norwegen beteiligte sich an den Angriffen.
    Es war nicht zu glauben. Es war die Nacht vor Sonntag, dem 28. März 1999,
    und Evald Bromo sah nirgendwo Anzeichen von ungewöhnlicher Unruhe. Er
    wanderte durch Oslos Straßen und trug in einer Tüte unter seinem Arm ein
    kleines Paket von an die fünfzehn mal fünfzehn Zentimetern.
    Einige Rempeleien vor dem Eingang des Lokals Stortorvets Gjasstgiveri waren
    alles, was mit Gewalttätigkeit Ähnlichkeit hatte. Auf den Straßen wimmelte es
    von Menschen, denen der Krieg offenbar egal war. Alle waren mit sich be-
    schäftigt oder wollten noch schnell irgendein Lokal aufsuchen, ehe nichts
    mehr ausgeschenkt wurde.
    Er hatte das Paket noch nicht geöffnet.
    Der Inhalt konnte ja auch ganz harmlos sein.
    Aber zugleich war er sich ganz sicher: Das Päckchen stammte von Pokerface,
    dem E-Mail-Terroristen. Wieso er das wußte, war ihm nicht klar. Es lag
    vielleicht an der neutralen Schrift. An dem graubraunen, nichtssagenden
    Papier. Daran, wie die Briefmarke in der Ecke aufgeklebt war — rechtwinklig
    und in genau derselben Entfernung zum oberen und zum seitlichen Rand des
    Umschlags; das alles verriet ihm, daß sich der Absender wirklich Mühe
    gegeben hatte. Aber seinen Namen hatte er nicht dazugeschrieben.
    154
    Es mußte Pokerface sein.
    Solange er das Päckchen nicht öffnete, konnte er auf einen harmlosen Inhalt
    hoffen. Auf Reklame. Die neutrale Verpackung sollte ihn vielleicht einfach
    veranlassen, es aufzumachen, statt es in den Abfall zu werfen, wo alle anderen
    grellbunten Sendungen landeten, ungeöffnet und ungelesen.
    Ein schwarzes Taxi mit zwei dunkelhaarigen jungen Männern fuhr auf
    Grensen langsam vor ihm her. Er ging schneller, um sein fehlendes Interesse
    zu bekunden. Eine junge Frau musterte ihn, als ihm das Päckchen hinfiel und
    er sich blitzschnell danach bückte. Er erwiderte ihren Blick nicht, sondern zog
    seine Jacke fester um sich zusammen, starrte zu Boden und trabte weiter.
    Bei Aftenposten war zuviel los, obwohl es doch die Nacht zum Sonntag war.
    Das lag natürlich an der Kosovo-Krise. Überall waren Leute. Früher an diesem
    Tag hatte er einen Artikel über die Folgen des Krieges auf die Börsen der Welt
    verfaßt. Es war ein nachlässiger, oberflächlicher Artikel geworden, und der
    Redaktionschef hatte leicht mit dem Kopf geschüttelt, als er ihm mitgeteilt
    hatte, der Text sei unbrauchbar.
    Dieser verdammte Krieg!
    Evald Bromo verließ die Redaktion zehn Minuten, nachdem er dort
    eingetroffen war. Er hatte das Päckchen in seinem Büro in Ruhe und Frieden
    öffnen wollen. Aber Ruhe und Frieden waren dort nicht zu finden.
    Dieser verdammte Krieg!
    Er konnte sich ein Lokal suchen. Eine Kneipe, wo er sich in eine stille Ecke
    setzen konnte.
    Solche Kneipen gab es nicht. Nicht einmal um zwei Uhr nachts an einem
    Samstag.
    Ziellos ging er durch die Akersgate.
    Blaßgrünes Licht leuchtete aus dem oberen Stock des
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    Regierungsgebäudes. Justizministerin und Ministerpräsident waren offenbar
    noch bei der Arbeit. Dieser verdammte Scheißkrieg.
    Evald

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