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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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Verwendung geeignet gewesen, solide
    grüne Seestiefel. Er hatte sie oft getragen; immer dann, wenn das Wetter nicht
    zu kalt oder zu warm gewesen war, hatten die alten, abgenutzten Stiefel ihn
    hervorragend vor Schneematsch oder anderer Feuchtigkeit geschützt.
    Jetzt riß der linke Stiefelschaft mehr und mehr ein.
    Der Haken an der Steuerhauswand fraß sich durch die letzten Zentimeter des
    Gummis, als eine kräftige Strömung die teilweise aufgelöste Leiche erfaßte.
    Langsam stieg Stäle Salvesens Leichnam zur Oberfläche empor.
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    Sigurd Halvorsrud fand sich nicht zurecht. Er hatte es gespürt, sowie er sein
    Haus betreten hatte; er mußte fort. Nicht jetzt, nicht in der allernächsten
    Zukunft, aber bald. Wenn er mit der Sache durch war. Wenn er nicht verurteilt
    wurde.
    Das ganze Haus erinnerte ihn an Doris. Möbel, Tapeten, Vorhänge; sogar die
    Antiquitäten, die sie zusammen gekauft hatten, auf Auktionen, in engen
    Seitenstraßen in fremden Ländern und versnobten Boutiquen in Frogner, alle
    Gegenstände, große wie kleine, zeigten Doris' unverkennbare Signatur. Es war
    unerträglich. Es lag eine Anklage in den Wänden, eine Bedrohung in allem,
    was ihn umgab. Er saß in einem Sessel und starrte auf den Oslofjord und dabei
    empfand er etwas, das Ähnlichkeit mit Heimweh nach der gelben
    Untersuchungszelle hatte. Dort hatte es immerhin nur ihn gegeben. Er war
    dort ganz allein gewesen. Hier war Doris überall.
    »Papa«, hörte er hinter sich und schaute sich um.
    »Ja, mein Kind.«
    »Kann ich heute nacht auch in deinem Bett schlafen?«
    Theas nackte Beine schauten aus einem riesigen T-Shirt. So, wie sie in der Tür
    stand und sich mit dem einen Fuß an der Wade kratzte, ungeschminkt und mit
    offenen Haaren, wirkte sie jünger, als sie war. Das war eine Erleichterung für
    ihn. Bei ihrem Wiedersehen am Vortag hatte sie ihn stundenlang angestarrt,
    und ihre Augen hatten uralt ausgesehen. Heute, beim Frühstück, hatte sie
    gelächelt. Nicht besonders strahlend, aber die vage Mundbewegung war doch
    ein Zeichen der Besserung. Sigurd Halvorsrud hatte nach seinem Gespräch
    mit Dr. Glück schreckliche Angst gehabt. Danach war er zu Thea geführt
    worden. Sie war wirklich krank,
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    schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Die Jungen hatten sich bereit
    erklärt, noch einige Tage bei Tante Vera zu verbringen. Bis Thea zur Ruhe
    gekommen wäre. Bis sie wußten, wie es mit ihr weiterginge.
    »Sicher kannst du das«, sagte er mit weicher Stimme. »Ich komme auch bald.
    Hast du deine Medizin genommen?«
    »Mmm. Gute Nacht!«
    Er stand auf und ging durch das Zimmer. Dabei breitete er die Arme aus. Seine
    Tochter schmiegte sich an ihn. Sie drückte ihr Gesicht in seinen flauschigen
    Wollpullover; im Zimmer war es kühl. Er hatte seit seiner Heimkehr alle Fen-
    ster offenstehen lassen.
    »Schlaf jetzt«, sagte er und küßte sie auf den Kopf. »Ich komme bald.«
    »Mußt du morgen arbeiten?«
    »Nein. Wir bleiben beide zu Hause. Damit wir es uns richtig gemütlich
    machen können.«
    Vermutlich wußte sie nicht, daß er nur auf Zeit aus der Haft entlassen worden
    war. Und sie würde wahrscheinlich auch das restliche Schuljahr verpassen.
    Auch davon hatte sie keine Ahnung.
    »Also, gute Nacht.«
    Er küßte sie noch einmal.
    Als Sigurd Halvorsrud sich eine halbe Stunde später in den ersten Stock
    schlich und vorsichtig seine Schlafzimmertür öffnete, konnte er den
    regelmäßigen, tiefen Atem einer schlafenden Sechzehnjährigen hören. Ihre
    Medikamente warfen sie vollständig um. Er hatte nach seinem Gespräch mit
    Dr. Glück nicht so recht gewußt, ob er sie überhaupt nach Hause holen sollte,
    aber der Psychiater war sich seiner Sache ganz sicher gewesen: Für Thea wäre
    es einfach das allerbeste, nach Hause zu kommen. Zusammen mit Papa.
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    Leise schloß er die Tür.
    Dann ging er ins Erdgeschoß hinunter, suchte sich in der Abstellkammer eine
    alte Oljacke, streifte sich eine Wollmütze über den Kopf, hielt das
    Schlüsselbund so fest in der Hand, daß es nicht klirren konnte, und öffnete die
    Haustür.
    Das Licht der schmiedeeisernen Lampe neben der Auffahrt durchdrang die
    Schatten bei der Garage und unter den wuchtigen Eichen auf der Grenze zum
    Nachbargrundstück. Doris hatte das so gewollt. Sie hatte die Dunkelheit nicht
    gemocht. Sigurd Halvorsrud blieb für einige Minuten stehen. Er konnte nur
    eine rote Katze sehen, die über den Rasen stolzierte und ihn aus leuchtenden
    Augen

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