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Holunderküsschen (German Edition)

Holunderküsschen (German Edition)

Titel: Holunderküsschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Gercke
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meiner Geburt ihr Eigenleben . Aber als Notfall würde ich sie nicht bezeichnen – eher als »Krisengebiet im Ruhezustand«.
    Harald baut sich vor mir auf . Oh mein Gott, der Mann reicht mir knapp bis zum Kinn und die Make-up Schicht ist dicker als die eines Fernsehmoderators. Wie will der mir mit seiner Gr ö ße die Haare schneiden? Ich sehe mich schon auf dem Boden hocke nd , während Harald meine Haare mit einer Schere bearbeitet. Harald sagt kein Wort, sondern starrt mich nur mit verzogenen Mundwinkeln an . Als würde er befürchten, ich könnte Ungeziefer einschleppen.
    „Hallo Harald ! Netter Schuppen, den du da hast“, versuche ich möglichst selbstbewusst zu sagen. Aber ich höre selbst, dass es eher so klingt wie: „Bitte, bitte großer Meister, schenk mir deine Gunst und mach aus dem Chaos auf meinem Kopf so etwas, was sich Frisur nennen darf!“
    Gerade als ich mich frage, ob er bei dem Anblick meiner Haare einen plötzlichen Sprac h verlust erlitten hat, öffnet Harald den Mund.
    „Ach Göttchen – wie sie aussieht.“ Er spitzt pikiert die Lippen. „Dabei hat sie gute Anlagen, auch wenn sie ...“ , er stockt und ich halte die Luft an, „... ein bisschen blass um die Nase wirkt.“ Er zwirbelt eine Haarsträhne zwischen seinen Wurstfingern. „Die Haarstruktur ist wirklich  a u ßergewöhnlich schwierig. Das wird nicht ganz einfach, aber da lässt sich was machen“, sagt H a rald wie ein Richter, der ein Urteil fällt gegen das es keine Berufung gibt. Dabei fährt er mit se i ner Hand durch meine Haare und legt den Kopf leicht zur Seite. Der Typ ist definitiv ein echter Vorzeigeschwuler . Jede seiner Bewegungen wirkt, als würde er auf der Bühne steh en und sich einem ganz großen Publikum präsentier en .
    „Äh, ich kann auch ein anderes Mal wiederkommen“, nutze ich die Gelegenheit zur Flucht. Harald hebt kurz die Augenbraue und verlagert sein Gewicht mit Hilfe eines eleganten Hüftschwungs von rechts nach links.
    „Robiiiiin!“ Er wedelt hektisch mit der Hand einen jungen Mann zu sich, der aussieht als wäre er der Gruppe Tokio Hotel abhanden gekommen. „Einmal Spezialwäsche, bitte!“
    Hallo!? Geht es vielleicht noch lauter? Spezialwäsche!!!! Das klingt nach Läusen, Krätze und anderem Getier, das sich so auf Köpfen tummelt – aber sicher nicht auf meinem. Das Gleiche muss die Frau neben mir gedacht haben, die bis eben in ihre Zeitschrift vertieft war. Jetzt hebt sie zusammen mit den anderen Kunden im Salon den Kopf und starrt mich an. Ich weiß, ich sollte jetzt selbstbewusst lächeln . Stattdessen suche ich nach der Erdspalte, in die ich kriechen kann. Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, folge ich Robin zum Waschtisch und lasse mich auf den Friseurstuhl plumpsen . Während Katja mit einem Gläschen Prosecco mit Harald anstößt. Wie ist es möglich, dass wir mit Raketen bis zum Mond und weiter fliegen, aber gleic h zeitig so unbequeme Friseurstühle bauen, dass der Genickbruch während des Haarewaschens geradezu vorprogrammiert ist? Hier liege ich nun völlig verkrampft und lasse die Spezialwäsche über mich ergehen. Meine Nackengegend fängt bereits an zu tingeln und Robin ist noch beim Einstellen der richtigen Temperatur. Es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis ich die ersten Ausfälle meines gequetschten Rückenmarks spüren werde.
    „Geht es so?“, fragt Robin.
    Ich gebe ein schwaches Nicken von mir. Zu mehr bin ich nicht fähig. Während Robin sich mit Hingabe daran macht, meine Haare mit Unmengen von Shampoo zu reinigen, bewege ich heimlich meine Zehen, um deren Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Soweit alles okay. Allerdings kitzelt es in meinem Rücken und ich frage mich, ob es Wasser ist, das versehentlich seinen Weg dort entlang gefunden hat, oder ein ein geklemmter Nerv, der nach Hilfe schreit.
    Als Robin endlich mit dem Waschen fertig ist, liegen meine Nerven buchstäblich blank. Endlich darf ich meinen Kopf aus der unbequemen Lage anheben. Gerade als die Durchblutung meines Nackens wieder einsetzt, wickelt mir Robin das Handtuch wie einen Turban um den Kopf . Was einen auch nicht wirklich schöner macht, vor allem wenn man eine kurze Stirn wie ich hat. Wie meinte Sunji alias Reiner einmal zu mir: „Also wenn man deine Stirn so betrachtet, wird einem wieder bewusst, dass der Mensch vom Affen abstammt!“ Ich habe seitdem einen au s geprägten Komplex, wenn es um meine Stirn und ihre öffentliche Zurschaustellung geht.
    Katja unterhält

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