Holunderküsschen (German Edition)
schon um acht Uhr im Büro . Für mich ein absoluter Rekord . Eigentlich bin ich Langschläferin und dieses frühe Aufstehen bringt meinen Biorhythmus völlig aus dem Gleichgewicht. Ich laufe dann den halben Tag wie ferngesteuert durch die Gegend und bringe kaum einen geraden Satz heraus.
Ich klemme mir einen Block unter, das wirkt in Filmen immer unheimlich distinguiert. Ein kurzer Kontrollblick in den Spiegel. Na, wenigstens muss ich mir um meine Haare keine Geda n ken mehr machen, seit Magic Harald sein kleines Wunder vollbracht hat.
Oh, fast hätte ich es vergessen. Ich gehe zurück zum Schreibtisch und hole meine schwarze Brille aus der Schublade. Die habe ich mir extra für solche Fälle zugelegt. Eigentlich brauche ich keine Brille, aber ich finde eine Brille lässt eine Frau gleich viel intelligenter aussehen und dieses schwarze Nerd-Model von Ray Ban gibt mir den perfekten intellektuellen Touch ohne spießig zu wirken. Ich finde, ich sehe fast ein bisschen sexy damit aus. Zufrieden stürme ich los.
Ich habe keine Ahnung was das Thema des heutigen Meetings eigentlich sein wird. Emma hat irgendwas Langweiliges mit »Marketing - Strategien« blablabla ... erwähnt. Die ganze Angel e genheit dauert hoffentlich nur ein paar Minuten. Gehetzt biege ich um die Ecke. Ja, hier muss es ein. Ich kneife die Augen zusammen, straffe meinen Rücken, klopfe kräftig gegen die Tür, drehe den Türknauf um und trete ein.
Zwanzig Augenpaare, die allesamt um einen Konferenztisch sitzen, starren mich an. Am anderen Ende des Tisches unterbricht ein Mann seine PowerPoint-Präsentation. Kenne ich den? Zu meiner Überraschung entdecke ich Benni auf der anderen Seite des Raumes. Er sitzt zwischen zwei Mitarbeitern, die graue Anzüge tragen und irritierte Blicke in meine Richtung werfen. Benni hingegen lächelt mir aufmunternd zu. Am Ende des Tisches sitzt eine zierliche Frau, die ich nicht kenne, aber deren Gesicht mir irgendwie bekannt vorkommt. Sie wirkt sehr gepflegt, graues Ko s tüm, hellblaue Bluse und dezentes Make-up und strahlt eine natürliche Autorität aus, wie sie nur wenige Menschen besitzen. Ich winke ihr fröhlich zu, um die Situation etwas aufzulockern. Als ihr Blick auf mich trifft, schnellt ihre rechte Augenbraue nach oben und mir gefriert das Blut in den Adern.
„Frau Hirsekorn, darf ich Ihnen unsere neue Mitarbeiterin Julia Zoe Löhmer aus der Reis e redaktion vorstellen?“ Miriam ist aufgestanden und deutet auf mich.
Frau Hirsekorn??? Die ältere Dame am Tischende soll die gefürchtete Verlagsleiterin El i sabeth Hirsekorn sein? Ich kann es nicht fassen. Und ich habe ihr zugewinkt ... Scheiße!
„Frau Löhmer hat diese Woche bei uns angefangen. Sie ist noch in der Einarbeitungsphase.“ Miriam applaudiert gekünstelt und alle, außer Frau Hirsekorn, schließen sich ihr an. Ich komme mir vor wie in einer amerikanischen Soap Opera, wo die neuen Mitarbeiter immer unter frenet i schem Beifall begrüßt werden.
Mein Magen macht einen mächtigen Ruck. Oh Gott, das war’s dann wohl! Ich bin übe r haupt nicht vorbereitet und es sieht so aus, als wüssten alle worum es hier geht. Ich starre wie versteinert zurüc k. Ich komme mir vor wie eine Barbie-Puppe, der man gerade das Sprechen be i gebracht hat. Komm schon! Selbstbewusstsein ausstrahlen. Ich bin eine Frau mit einem Ziel.
„’Tschuldigung“, stammle ich schließlich. „Ich wollte sie nicht unterbrechen, aber ich bin aufgehalten worden. Bitte fahren Sie fort.“
Aus dem Augenwinkel sehe ich einen leeren Platz. Plötzlich fällt mir Joan Collins ein. Die hatte immer diesen Ich-bin-eine-erfolgreiche-Geschäftsfrau-Gang, selbst wenn sie morgens aus dem Bett stieg. Ich weiß, die Frau konnte eine echte Ziege sein, aber immerhin hat sie es zu et was gebracht und eines der größten Imperien der Fer n seh-Seriengeschichte aufgebaut. Irgendwas muss sie wohl richtig gemacht haben. Ich drücke also die Brust raus, schiebe mein Kinn nach vorne und schreite entschlossen mit konzentriertem Gesicht durch das Büro, ziehe den Stuhl he r vor und setze mich. Jenny neben mir beäugt mich neugierig. Miriam hat sie mir vorgestellt. Jenny arbeitet wie ich in der Redaktion für Holiday Dream s, allerdings ist sie für die Anzeigen zustä n dig. Jennifer ist groß, schlank, blond und DaL. Katjas und meine Abkürzung für „Doof, aber Lieb“.
„Alles okay? “, fragt Jennifer-Blondi und knabbert an ihrem langen mit kleinen Blümchen versehenen Fingernagel.
„Ja“,
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