Holunderküsschen (German Edition)
Kerl denn nicht, dass er sich viel zu sehr bemüht? Mit hochrotem Kopf verlässt er den Raum.
„Jemand Lust auf eine Tasse Kaffee?“ Elisabeth Hirsekorn mustert mich aufmerksam. „A l so, ich könnte gut eine Tasse vertragen.“ Sie lächelt in die Runde. Miriam, Blondie, Thomas, Emma, Eddie und Wiebke nicken zustimmend. Ihr Blick fällt auf mich.
„Ja, gerne“, antworte ich und zupfe nervös an meiner Bluse.
Sie drückt einen Knopf auf dem Pult vor sich. „Sina, Kaffee bitte.“
„Kommt sofort“, ertönt eine Stimme aus dem Off.
„Bitte, kommen Sie doch näher“, fordert mich Elisabeth Hirsekorn auf. „Sonst bekomme ich das Gefühl, Sie haben Angst vor mir.“
Blondi kichert nervös und rutscht artig einen Platz auf. Benni setzt sich wie selbstverstän d lich neben die Verlagschefin. Bilde ich es mir ein oder zwinkert sie ihm zu? Mein Gott, die Frau ist über sechzig! Benni, ganz Charmeur, lächelt gekonnt zurück.
„Schön! Dann lassen Sie uns gleich mal zur Sache kommen , Julia! Ich darf Sie doch Julia nennen?“
„Gerne“, antworte ich, während ich mir das Hirn zermartere, ob ich Elisabeth Hirsekorn nun auch mit ihrem Vornamen ansprechen soll. Ich beschließe, lieber darauf zu verzichten.
„Sie haben also unser Magazin studiert und sich einige interessante Gedanken dazu g e macht“, beginnt Elisabeth Hirsekorn das Gespräch.
„Julia hat Betriebswirtschaft studiert“, wirft Benni ein und grinst mich an.
„Ja“, sage ich erleichtert. „Ja, genau ...“ Scheiße. Ich breche abrupt ab.
Ich höre meine eigene Stimme im Zug brabbeln: „ Ich habe BWL nach zwei Semestern wieder abgebrochen. Viel zu langweilig mit der ganzen Mathe und so ...“ Am liebsten würde ich dem Mistkerl den Hals umdrehen.
„Und wie siehst du Holiday Dream von der betriebswirtschaftlicher Seite, Julia?“ Unfas s bar, dass er mich das fragt. Er scheint ein geradezu perverses Vergnügen daran zu haben, mich bloßzustellen.
Für ein paar Augenblicke lang kann ich nichts sagen. Blondi sieht mich mit großen blauen Kulleraugen an.
„Na ja“, räuspere ich mich. „Dafür bin ich noch nicht genug mit dem Unternehmen vertraut. Was ich vorhin gesagt habe, war rein aus dem Bauch heraus gesprochen. Ich bin Redakteurin und keine Marketingstrategin.“ So langsam nehme ich wieder Fahrt auf. „Verstehen Sie, Reisen war schon immer mein Traum. Deshalb bin ich hier.“ Elisabeth Hirsekorn hört mir aufmerksam zu. „Als ich vorhin in der Holiday Dream geblättert habe, musste ich sofort an meinen Zahnarzt de n ken.“ Elisabeth Hirsekorn sieht mich an, als ob ich mein Hirn zulange in Regenwasser gebadet hätte. „Der hatte nämlich in seinem Wartezimmer hauptsächlich solche Hochglanzmagazine au s liegen. Alles in seiner Praxis war auf edel gemacht und ich habe mich dann im Stillen gefragt, ob es eine richtige Entscheidung von mir war dorthin zu gehen. Denn schließlich konnte er sich das alles ja nur leisten, weil er als Zahnarzt so gut an den Patienten verdient hat.“ Ich mache eine Pause und schiebe die Brille den Nasenrücken hoch. Ich habe mal gelesen, dass das einer Auss a ge mehr Nachdruck verleiht.
„Äh, aber das war nicht der Punkt. Was ich eigentlich sagen wollte ... Wissen Sie, welche Zeitschriften von den Patienten gelesen wurden?“ Ich werfe einen Blick in die Runde. Alle sehen mich erwartungsvoll an. Bei Blondie bin ich mir allerdings nicht ganz sicher, ob ihr Interesse meinen Aussagen oder eher der Farbe meiner Fingernägel gilt.
„Die einfachen Zeitschriften, in denen man hauptsächlich Klatsch und Tratsch über die Stars findet oder die Modezeitschriften. Die Hochglanz -M agazine w e rden nach kurzer Zeit wi e der gelangweilt zurück gelegt.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Magazine wie das unsere keine Zukunft haben?“ hakt Elis a beth Hirsekorn nach.
„Doch! Aber die breite Masse werden sie damit nicht erreichen. Wenn wir überleben wo l len, müssen wir eine neue Richtung einschlagen. Ein hochwertiges, ansprechendes Reisemagazin für den normalen Durchschnittsbürger. Mit innovativen Ideen und Ratschlägen. Nicht so ein hochgestochener Mist wie er in den meisten Blättern steht . M it denen man im Urlaubsort nichts anfangen kann, weil der sogenannte Geheimtipp längst in ein Luxusressort umgebaut wurde oder bereits von Massen bevölkert wird. Wir müssen schnell sein! Aktuell am Puls der Zeit! Den B e dürfnissen der Menschen entsprechen! Trends erkennen und setzen! Die Holiday
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