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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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bisschen Glück würde ich im Manuskript von Walahfrid auch noch etwas Hilfreiches für eine Recherche im Internet finden.
    Wieder schien niemand zu bemerken, dass ich in mein Zimmer zurückkehrte. Sorgfältig stellte ich meine erneut durchnässten Schuhe an die Heizung, zog eine bequeme Jogginghose über und machte es mir mit den Keksen und der Schokolade unter der Bettdecke bequem. Damit ich in meinem Zimmer nicht nur das leise Gluckern der Heizung hören musste, setzte ich die Kopfhörer auf und schaltete meine Lieblingsmusik für mittelalterliche Studien an: Monteverdis Marienvesper. Genau so stellte ich mir immer den Gesang der Mönche im Kloster vor, auch wenn mir klar war, dass das zeitlich nicht ganz stimmen konnte.
    Als Erstes öffnete ich die Datei mit den Fotos vom Manuskript, die ich bei der Buchbinderin geschossen und auf mein Laptop geladen hatte. Mit gerunzelter Stirn schaute ich mir die gestochen scharfe Minuskel an, schob mir noch einen Keks in den Mund und fing an, den Text sorgfältig in ein anderes Dokument zu übertragen. Ein paar einleitende Worte über die Plage mit den wuchernden Brennnesseln, über den Lohn des unermüdlichen Gärtners – dann ging Walahfrid bei den einzelnen Pflanzen ins Detail. Ich nahm mir vor, den Text erst einmal selbst zu übersetzen, später wollte ich meine Version mit den im Internet kursierenden Übersetzungen abgleichen.
    Mithilfe meines Wörterbuchs identifizierte ich die Pflanzen des Gärtchens als Salbei, Raute, Eberraute, Flaschenkürbis, Melone, Wermut, Andorn, Fenchel, Schwertlilie, Liebstöckel, Kerbel, Lilie, Schlafmohn, Muskatellersalbei, Frauenminze, Minze, Poleiminze, Sellerie, Betonie, Odermennig und Ambrosia … Ambrosia? Bis zu diesem Moment hatten mein Wörterbuch und ich uns erfolgreich durch alle lateinischen Bezeichnungen gekämpft. Aber Ambrosia war kein Heilkraut. Zumindest keines, das mir geläufig war oder durch mein Wörterbuch sinnvoll übersetzt wurde.
    Ich beschloss, ein wenig im Internet zu recherchieren, gab Ambrosia und Walahfrid als Suchbegriffe ein und landete auf einer Menge Seiten, die letztlich alle das Gleiche sagten: Ambrosia könnte Rainfarn sein. Oder auch Schafgarbe. Oder aber etwas ganz anderes, das heute keiner mehr kannte. Ich las noch einmal das Gedicht. Walahfrid hatte offensichtlich auch nicht wirklich gewusst, was er mit diesem Kraut anfangen sollte. Es entzieht, als Mittel getrunken, dem Körper so viel Blut, wie es Säfte ihm heilsam wiederum zuführt. Das klang wie eine Regieanweisung mit dem Inhalt: »Mach es oder lass es.« Wirklich eigentümlich, weil er bei den anderen Bewohnern seines Gärtchens sehr präzise die Wirkung, das Aussehen und auch die Probleme beim Anbau beschrieb.
    Nachdenklich vervollständigte ich meine Liste. Nach der Ambrosia wurde es wieder einfach. Katzenminze, Rettich und Rose. Die Erinnerung an den Walahfrid meiner Träume stand lebhaft vor meinem inneren Auge. Konnte es wirklich sein, dass er so jung war, als er dieses Werk verfasst hatte? Und konnte es sein, dass ein so junger Mönch sich seinem Gärtchen so intensiv widmen konnte?
    Obwohl mir die Augen fast zufielen, sah ich noch einmal im Internet nach. Für den heutigen Tag musste ein bisschen Wikipedia reichen. Und tatsächlich: Walahfrid war noch keine zwanzig gewesen, als er über seine Kräuter schrieb. Später hatte er für so etwas keine Zeit mehr, er lebte am Hof des Königs und dichtete für seinen Herrscher. Bis er in einem Fluss ertrank. Traurige Geschichte, sogar in den dürren Fakten, die ein emsiger Wikipedia-Schreiber zusammengetragen hatte. In einem winzigen Nebensatz gab es einen Hinweis auf seinen Freund Gottschalk, den Sachsen.
    Neugierig klickte ich weiter. Den freiheitsliebenden Freund des Mönches hatte ich also nicht erfunden? Dabei war ich mir absolut sicher, von ihm noch nie gehört zu haben. Das neunte Jahrhundert war nicht gerade mein Studienschwerpunkt gewesen. Karl der Große war mir entschieden zu dröge, außerdem gab es kaum verlässliche Quellen über das Leben der Menschen in dieser Zeit. Aber es war durchaus möglich, dass irgendein Professor mit leuchtenden Augen von dem Teufelskerl Gottschalk erzählt hatte.
    Entschlossen schaltete ich mein Laptop aus. Ich brauchte dringend ein bisschen Schlaf, und morgen musste ich mich unbedingt nach einem Fachmann für die Kräuter des Walahfrid umsehen. Es konnte ja sein, dass das Internet keine Antworten für meine Fragen hatte. Meine Erfahrung war, dass

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