Holy Shit
nur sehr schwer. Die Verbreitung der Beleidigungsart auf deutschen Schulhöfen, in sozialen Netzwerken und im Alltag steht jedenfalls außer Frage. Es gibt mittlerweile viele Sites, auf denen »Deine Mutter«-Sprüche gesammelt werden, hunderte findet man dort. Mein Lieblingsbeispiel, das zum Mitdenken auffordert, ist: »Deine Mutter klaut bei KiK.« Plumpere lauten: »Deine Mutter ist so fett – ihr Bauchumfang heißt Äquator.«; »Deine Mutter muss sogar für den Urintest büffeln.«; »Deine Mutter war schon als kleiner Junge hässlich.«; »Deine Mutter wollte dich eigentlich nach deinem Erzeuger nennen, aber Gangbang ist ein blöder Name.«
Wie lange sich dieser Trend noch halten wird? Nach zweihundert Jahren Erfahrung mit der Jugendsprache kann man die Prophezeiung wagen: wohl nicht mehr lange. Deren Reiz besteht eben darin, sich vom allgemeinen Sprachgebrauch abzuheben, gegen Tabus zu verstoßen und mit Originalität und Drastik zu verblüffen.
Spätestens im 18. Jahrhundert begannen jugendliche Studenten wohl, eigene Schimpfwörter und Flüche zu entwickeln. Dazu gehören manche, die heute zu unserem Standardrepertoire gehören wie »Verflucht/Verflixt und zugenäht!«
Dessen Herkunft lässt sich auf zwei Ursprünge zurückführen, die einander womöglich beeinflusst haben. Einerseits findet sich im vielgelesenen Roman Fritz Reuters »Ut mine Festungstid« (1862) eine Passage, wo es heißt: »Als mir mein Liebchen die Folgen unserer Liebe gesteht, da hab’ ich meinen Hosenschlag verflucht und zugenäht.« In einem Studentenlied kommt der Satz in ähnlichem Kontext vor. Andererseits könnte er mit dem Alltag der schlagenden Verbindungen zu tun haben, bei deren Fechtkämpfen – »Au Backe!« – regelmäßig böse Schmisse vorkamen, die nach einem herzhaften »Verflucht!« des Getroffenen zugenäht werden mussten. Die Schimpfwörter »Spießbürger« oder »Spießer« – von den als Waffen veralteten Spießen der Bürger herrührend, die damit im 18. Jahrhundert Wehrhaftigkeit nur noch mimten – entspringen ebenso der Studentensprache wie der Ausdruck »Manschetten haben« für Angsthasen – eigentlich jemand, der mit dem feigen Hinweis auf seine störend weiten Manschetten einen Fechtkampf verweigert – und viele andere. Weil die Studenten selbst »Spießer« wurden, verbreiteten sich die Kraftausdrücke ihrer wilden Jugend dann auch in anderen Gesellschaftskreisen.
Ob Wandervogel, Bündische Jugend, HJ, Swing-Jugend, APO, Mods, Teds, Rocker, Hippies, Punks – die vielen Jugendbewegungen seit ca. 1900 verstärkten die Bildung von Jugendsprache(n), wiederum besonders im Bereich des Drastischen, des Fluchens und Schimpfens. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber wechseln die Moden hier in sehr rascher Folge, wobei die Medien, Pop- und Filmstars, die Literatur und Comics eine Rolle spielen. Besonders Qualitätsbezeichnungen wechselten rasant: prima, klasse, dufte, Spitze, Wahnsinn, toll, irre, abgefahren, far out, genehmigt, gebongt, stark, affenstark, bärenstark, saustark, bockstark, heiß, scharf, gierig, geil, affengeil, affentittengeil, turbogeil. Generell gilt, dass neue, ungewöhnliche, besonders verletzende, Tabus extrem missachtende Begriffe Eindruckmachen. Dass die Beschimpfungen sich von ihren ursprünglichen Bedeutungen gelöst haben, merkt man aktuell an beliebten Ausdrücken wie »Jude«, »Opfer«, »Nigger«, »Kanake«, »Hure«, »Bitch«, die in vielen, ja den meisten Fällen nicht verwendet werden, um Angehörige einer Religion, Menschen einer bestimmten Hautfarbe oder eines Geschlechts zu bezeichnen. Hauptsache sie klingen derb, beleidigend, unkorrekt.
Aber auch Altes entdecken Jugendliche als besonders originell, weil es praktisch vergessen ist, bedeutend klingt und in den Bereich des Magischen geht, oder weil es lustig wirkt, überraschend, kurios. Die Fantasy-Literatur und »Harry Potter« besonders sorgten für erstaunlich viele lateinische Flüche wie »Imperio!« – »Crucio!« – »Avada Kedavra!« auf Pausenhöfen, an Bushaltestellen und im Internet.
Die Standardfluchwörter wie »Scheiße!«, »Mist!«, »Drecks-«, seit längerem auch »Fuck!« und »alter« oder »Alter« als Verstärkungsvokabeln kommen trotzdem reichlich vor, in immer neuen Kombinationen, und werden sicher nicht aussterben. So findet man auf »Pausenhof.de« beispielsweise folgende Flüche (Originalschreibung):
»Bums dich, du Kackvogel!
Lattenpissa!
Son
Weitere Kostenlose Bücher