Holz und Elfenbein
gewesen war.
Sobald Alexis ihm aufgeholfen hatte, sank er gegen dessen Schulter, ungeachtet der Sauerei, die sie angerichtet hatten.
»Bett?«, zärtlich strich er Federico die Strähnen aus der Stirn.
»Bett«, nuschelte Federico. »Ich bekomme schon blaue Flecken von der Schreibtischkante!«
»Und das wollen wir doch nicht.« Als ob Federicos Körper am nächsten Tag ohnehin nicht schon an den unmöglichsten Stellen blaue Flecken zieren würde.
Ein paar Minuten lagen sie schweigend da, doch weder Alexis noch Federico verspürten den Drang jetzt zu schlafen oder zu kuscheln.
»Die angepeilten zwei Stunden sind noch nicht vorbei«, feixte Alexis und stützte sich auf einen Arm während er auf Federico hinabsah.
Dieser zog ihn an sich und küsste ihn prompt.
»Keine Sorge, mir fällt schon noch was ein.« Sprach es und setzte sich rittlings auf Alexis.
»Bereit für die nächste Runde?«
Später an jenem Tag bekam Alexis sogar noch die Gelegenheit Federico beim Klavier spielen zu belauschen. Schließlich waren es drei Stunden gewesen, die sie zusammen im Schlaf- und Badezimmer verbracht hatten. Beide hatten sie danach eine Dusche dringend nötig gehabt und als sie gemeinsam unter dem warmen Wasserstrahl gestanden hatten. Nun ja. Es hatte alles etwas verzögert. Dann hatte der Jetlag seinen Tribut gefordert und Alexis hatte geschlafen wie ein Stein. Federico hatte ihn alleine gelassen und als Alexis am Abend aufgewacht war, hatte er leises Klavierspiel vernommen.
Er wollte nicht, dass Federico durch ihn gestört war und so lehnte er im Garten neben dem offenen Fenster. Was er da zu hören bekam, verschlug ihm wahrhaftig den Atem. Federicos Spiel hatte eine unglaubliche Steigerung erfahren im Vergleich zum vergangenen Frühjahr. Die alte technische Brillanz war wieder da, diese geradezu teuflische Fingerfertigkeit. Doch im Gegensatz zu früher, hörte man den Tönen deutlich die Leidenschaft und Hingabe an mit welcher sie auf dem Instrument erzeugt wurden. War Federicos Stil früher eher technisch perfekt und kühl gewesen, von einigen leidenschaftlichen Ausbrüchen abgesehen, so war er nun viel warmherziger und offener, nicht mehr so verbissen.
Alexis wagte sich gar nicht auszumalen wie Federicos Chancen bei dem kommenden Wettbewerb standen. Erschrocken zuckte er zusammen als ihm jemand eine Jacke um die Schultern legte. Alexis hatte es gar nicht bemerkt, dass es mittlerweile recht kühl geworden war, so vertieft war er in die Musik gewesen. Nun entweder war man ziemlich verrückt, oder eben ziemlich verliebt, wenn man stundenlang neben einem Fenster im Garten stand, um Musik zu hören.
Seine Mutter lauschte einige Momente der Polonaise, die Federico gerade spielte.
»Ich weiß ja, dass er sehr gut ist, aber was genau ist es, das ihn so überragend macht?«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Ja darauf bedacht Federico nicht zu stören.
Nachsichtig lächelte Alexis. Sie war nun einmal keine Musikerin und erst recht keine versierte Kritikerin und Kennerin von Klaviermusik.
»Es ist zum einen seine Technik. Sie ist einfach perfekt, damit könnte er jedes Stück meistern. Aber dann kommt noch dazu, dass er über einen Ausdruck verfügt, der seinesgleichen sucht. Eine unglaubliche Vielfalt von Klangnuancen«, fügte er hinzu. »Und dann noch den Mut die Stücke selbst zu interpretieren. Es ist wirklich ungewöhnlich, dass Musiker in seinem Alter bereits einen so ausgeprägten persönlichen Stil haben.«
Alexis konnte ja nicht ahnen, dass er genau jene Worte in den nächsten Wochen noch dutzende Male in Mikrophone und Kameras sprechen würde. Die Endrunde des Chopin-Wettbewerbs dauerte fast drei Wochen und gliederte sich in drei Stufen plus dem Finale. Für jede Stufe war ein festgeschriebenes Repertoire vorgesehen, das die Pianisten beherrschen mussten. Nach jeder Stufe halbierte sich die Anzahl der verbleibenden Teilnehmer, so dass zum Finale nur noch zehn übrig blieben. Bereits nach Federicos erstem Auftritt war das Medieninteresse an ihm – und auch an Alexis – geradezu sprunghaft angestiegen. Vier Tage waren für die Auftritte der ersten Stufe angesetzt gewesen und das Losglück hatte Federico einen Auftritt gleich am ersten Tag beschert. Darüber war Federico sehr dankbar gewesen, so hatte er befreit aufspielen können, ohne von den übrigen Konkurrenten zu sehr beeinflusst zu sein. Sein Auftritt war um Längen souveräner als noch im April gewesen. Nachdem einige Reporter der Boulevardblätter mehr
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