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Holz und Elfenbein

Holz und Elfenbein

Titel: Holz und Elfenbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya T. Heinrich
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berauscht zu sein, man sah ihm förmlich an, dass er das Auditorium und die Fernsehkameras um ihn herum völlig vergessen hatte. Der tosende Applaus und die ›Bravo‹-Rufe rüttelten ihn regelrecht wach. Er erhob sich von seinem Platz, verbeugte sich vor der Menge, die dies natürlich mit noch lauterem Klatschen quittierte. Dann verbeugte er sich besonders tief vor dem versammelten Orchester, er wusste, was er ihnen zu verdanken hatte. Federico schüttelte dem Konzertmeister die Hand, wechselte ein paar Worte mit ihm, dann mit dem Dirigenten. Was dann geschah, das war unglaublich und hatte Alexis noch nie gesehen. Dieser alte Meister, der schon so viele Interpreten in seiner Laufbahn gehört haben musste, ergriff Federicos Hände und küsste sie.
    Federicos Gesichtsausdruck entgleiste regelrecht, er starrte den Mann an und wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er schien wahrhaftig schockiert zu sein. Der Dirigent gab ihm daraufhin einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken, um ihn wieder in Richtung Flügel zu schicken. Es war Zeit für die Zugabe.
    »Das will ich später auch einmal machen«, sprang William von seinem Platz vor dem Fernseher auf und eilte in Richtung Klavier davon. Mary-Alice seufzte und wollte bereits aufstehen, doch Alexis hielt sie zurück.
    »Ich bringe ihn schon ins Bett.« Es kostete Alexis jedoch alle Überredungskunst William vom Klavier wegzulocken und in sein Kinderzimmer zu bringen.

    Vielleicht musste sich wirklich etwas ändern und seine Schwester hatte recht, was seine Midlifecrisis anging. Wobei sich Alexis immer noch nicht mit dem Begriff anfreunden wollte. Außerdem würden andere Männer sagen, dass er auf hohem Niveau jammern würde. Immerhin war er ein erfolgreicher Organist, seine Expertise und Fachkenntnis im Bereich der historischen Spielweise war anerkannt und gefragt. Er lebte in einer glücklichen Beziehung, in der es auch in der Regel an einem aufregenden Sexleben nicht mangelte. Sein Partner war nicht minder erfolgreich auf seinem Gebiet und in finanziellen Belangen musste sich Alexis nun auch keinen Kopf machen.
    Erst als ihm die unpassende Stille auf der Empore der Kirche und die fragenden Blicke bewusst wurden, kehrten seine Gedanken wieder ins Hier und Jetzt zurück. Alexis räusperte sich und richtete sich auf. Ganz so als ob er völlig in die Musik versunken gewesen wäre.
    »Das war technisch sehr gut ausgeführt«, meinte er und nickte. Die junge Studentin auf der Orgelbank grinste und die übrigen Kursmitglieder schienen kollektiv auszuatmen.
    »Aber«, das Grinsen verschwand, »nur weil Sie ein Thema in Ihrer Fuge variieren, das zufälligerweise von meinem Partner komponiert wurde, heißt das noch nicht, dass ich es automatisch für gut befinde.« Die Dame hatte in der Tat ein Thema von einem von Federicos Walzern für ihre Bearbeitung genutzt. Alexis unterstellte ihr dabei Absicht. Wenn sie ihn wirklich hätte beeindrucken wollen, dann hätte sie das Thema in Form einer barocken Fuge à la Johann Sebastian Bach gespielt. Aber immerhin war die kleine Gruppe auserlesener Studenten, die er in dieser Woche in Berlin unterrichten durfte, allesamt lernbegierig und bestrebt ihn zu beeindrucken. Auch so ein Punkt auf seiner Erfolgsliste. Mittlerweile häuften sich die Anfragen von mehreren Universitäten, ob er denn keine Schüler annehmen wollte oder nicht wenigstens darüber nachdachte.
    Auch wenn er der Studentin plumpe Absicht unterstellte, dass sie ihn mit einem Stück von Federico hatte zufriedenstellen wollen, etwas an dieser Geste gab ihm zu denken. Er und Federico, man sah sie als Paar an, als Einheit. Natürlich sahen er und sein Geliebter dies ebenso, aber es gab kein Zeichen für diese Liebe. Zuerst dachte Alexis nur, dass er Federico einen Ring kaufen würde, aber als er dann zufällig an seinem zweiten Abend in Berlin vor dem Schaufensters eines kleinen Goldschmieds stand, fiel sein Blick auf eine Reihe von Eheringen.
    › Heirat‹, das war ein Wort, was er in Bezug auf sich selbst nie in den Mund genommen hätte, zumindest nicht vor seiner Zeit mit Federico. Es war geradezu sonderbar, dass er es sich mit Federico durchaus vorstellen konnte diesen Bund fürs Leben einzugehen, wo er es früher doch immer als sentimentalen Hetenquatsch abgetan hatte. Sie könnten es sogar vor dem Gesetz tun, nicht nur symbolisch. Nicht hier in Russland, aber in England. Dort waren eingetragene Partnerschaften mittlerweile erlaubt, wenn sie auch immer noch

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