Holz und Elfenbein
Fäusten, um sich gleich wieder zu entspannen. Er hatte zwar zwei Wochen nicht mehr gespielt, aber Federico war sich ziemlich sicher, dass er die Polonaise und den Walzer von Chopin auch jetzt noch beherrschte. Er hatte mit Absicht Stücke von Chopin gewählt, die Kraft eine Beethovensonate zu spielen könnte er wohl nicht aufwenden. Doch vielleicht hätte er noch einfachere Stücke auswählen sollen, dachte Federico während er vor dem imposanten Konzertflügel Platz nahm und die Finger auf die Tasten legte. Der Applaus war längst verstummt, war einer erwartungsvollen Stille gewichen.
Später jedoch war sich Federico ziemlich sicher, auch zwei weniger anspruchsvolle Stücke hätten es nicht verhindern können, dass das Konzert so blamabel für ihn geendet hatte.
Schon während des Walzers war er mehr als unzufrieden mit sich gewesen. Die Finger der rechten Hand waren schwerfällig in ihren Bewegungen, als ob er Handschuhe aus Blei tragen würde. Wenigstens verspielte er sich nicht, oder musste gar abbrechen – noch nicht. Auch wenn der Applaus nach dem ersten Stück doch verhalten ausfiel. Das sichere Zeichen dafür, dass man ihm die mangelnde Form anhörte. Doch das komplette Desaster kam mit der Polonaise. Wahrscheinlich war es die Anspannung, die ihn zusätzlich verkrampfen ließ.
Der so kunstvolle, virtuose Lauf, den er gerade noch begonnen hatte, wurde zunehmend stockender und verkam zu einem disharmonischen Geklimper. Nein, es ging nicht mehr. Federico sah keine Chance mehr, das Stück zu beenden. Vor allem da der Schmerz immer heftiger wurde und er kaum noch wagte die Finger zu bewegen.
Unbeholfen stand er auf und stieß dabei fast den Hocker zur Seite. Er eilte unter empörtem Gemurmel und hektischem Stühlerücken, einige Besucher waren von ihren Plätzen aufgestanden um besser sehen zu können, wieder nach draußen.
Zumindest hielt ihn niemand auf, man sah ihm wohl an, dass er große Schmerzen haben musste.
Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass die menschliche Hand mit ihrer Vielzahl an Nerven, Sehnen und kleinen Knöchelchen höchst schmerzempfindlich war. Ein gebrochener Finger konnte jeden noch so starken Mann in die Knie zwingen. Jetzt glaubte er dies ohne Widerrede.
Alexis musste den Tumult von seinem Platz vor den Türen gehört haben, denn er trat in den Saal und griff ihm beherzt unter den Arm, um ihn zu stützen und herauszuführen. Die Schmerzen beschränkten sich jetzt nicht mehr nur auf seine rechte Hand, sondern schienen in seinen gesamten Körper zu strahlen. Sie folterten ihn wie Wellen, ebbten ab und kamen dann nur doch wieder zurück. Noch immer befanden sich die Finger in ihrer steifen, verkrümmten Position und Federico wagte sie nicht einmal anzurühren, noch gestattete er dies irgendjemand anderem. Schützend presste er die Hand gegen den Bauch und setzte sich ohne Widerstand auf den erstbesten Stuhl, den man ihm anbot.
»Federico? Himmel noch mal, du bist ganz blass! Sprich mit mir, sag etwas!«
Er spürte Alexis‘ Hand auf seiner Wange, doch Federico presste nur die Zähne aufeinander und war außer Stande zu sprechen.
»Was ist los mit ihm?« Durch den dichten Nebel aus Schmerz und Beschämen erkannte er Lucrezias Stimme. Ausgerechnet sie! Federico hoffte, dass ihm noch ein letzter Rest Würde verblieb und er nicht seinen Mageninhalt auf den Marmorfliesen verteilte. Auch wenn ihm danach war.
Alexis war an seiner Seite und sagte irgendetwas. Federico wollte nicht mehr zuhören. Es war alles zu viel und zu anstrengend für ihn.
Irgendwann hatten sie ihn in ein Zimmer mit einer Liege gebracht. Auch ein Arzt war gerufen worden. Alexis saß neben ihm und hielt seine linke Hand. Die Sorge war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben als Federico beinahe losgeschrien hätte während seine Hand untersucht wurde.
Selbst Dekan Haylen kam zu ihnen und Federico hörte ihn mit Alexis debattieren. Federico war es gleichgültig. Sie sollten ihm nur endlich etwas gegen diese höllischen Schmerzen geben.
Später konnte er sich an diese Stunden kaum noch erinnern. Er wusste nicht, was alles gesprochen worden war. Wie viel Alexis Dekan Haylen gesagt hatte. Oder wer nun alles von seinen Beschwerden wusste. Doch ein Satz blieb ihm im Gedächtnis haften und selbst unter Schmerzen hatte er ihn verstanden: »Sie dürfen unter keinen Umständen noch länger Klavier spielen. Wenn Sie überhaupt jemals wieder spielen können.«
16
Alexis hatte die Worte des Arztes noch nicht in ihrer
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