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Holz und Elfenbein

Holz und Elfenbein

Titel: Holz und Elfenbein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya T. Heinrich
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vertreten, dass man während eines Konzerts mehr lernt als in so manchen Vorlesungen. Ich habe ein bisschen getrödelt, aber trotzdem gerade bei meinem Talent... Du bist noch nicht ganz zwanzig und fast fertig mit dem Studium!«
    »Aber du hast doch dein Studium schon abgeschlossen und machst jetzt dein Meisterklasse-Examen.«
    »Trotzdem, ich hätte es schneller durchziehen können.«
    »Worauf willst du hinaus?« Federico hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. Sofern Alexis nicht gerade seine Ratschläge oder neunmalkluge Sprüche von sich gab, fiel Federico ihr Altersunterschied gar nicht auf.
    »Ich habe nicht von Anfang an Orgelmusik studiert.«
    »Sondern?« Federico war nun ehrlich gespannt, speziell weil Alexis eine große Sache daraus machte.
    »Angewandte Mathematik.«
    »Was?« Dies war nun in der Tat eine Überraschung. »Du willst mich doch auf den Arm nehmen!«
    »Nein, das ist wahr! Ich schwöre es.« Alexis hob feierlich die Hand. »Ich war sogar richtig gut darin. Ich könnte noch immer eine Oberflächenberechnung mit Hilfe des Stoke‘schen Satzes durchführen oder dir den Gaußschen Integralsatz herleiten.«
    Für Federico waren diese Begriffe wahrlich böhmische Dörfer und sprachlos starrte er die Person an, von der glaubte sie gut zu kennen. Wie viele Geheimnisse über Alexis gab es noch, die er im Laufe der Zeit entdecken würde?
    »Ich zeige dir meine Klausuren, wenn wir mal in England sind«, fügte Alexis nach einer kurzen Pause hinzu. »Vielleicht glaubst du mir dann.«
    Federico konnte es nicht fassen. Alexis und Mathematik! »Aber du hast doch schon mit sechzehn eine CD eingespielt und hast in England Konzerte gegeben.«
    »Klar. Ich dachte, ich könnte das so nebenher machen. Als Hobby. Ich habe lange dazu gebraucht zu erkennen, dass die Orgel für mich mehr ist als nur ein Hobby. Ich wollte nach der Schule etwas ›Vernünftiges‹ studieren, etwas Bodenständiges. Aber ich habe bald gemerkt, dass ich nicht zufrieden bin, dass mir etwas fehlt, aber ich wusste nicht genau was. Deshalb wahrscheinlich auch die Zeit in den Bars, ich war auf der Suche nach etwas. Mary-Alice hat es erkannt und...«
    »Deine ältere Schwester?« Zur Sicherheit fragte Federico noch einmal nach. Alexis hatte drei Schwestern, da wollte er keine verwechseln.
    »Ja. Sie war es, die mir die Augen geöffnet hat. Sie riet mir dazu das Studium abzubrechen und stattdessen ans Konservatorium zu gehen und Orgel zu studieren. Das war für mich ein sehr schwerer Schritt. Ich wollte meinen Eltern nicht noch mehr Sorgen und Kummer bereiten.
    Ich meine, sie mussten akzeptieren, dass ihr einziger Sohn schwul ist und das war auch für sie nicht leicht. Jetzt will dieser Sohn auch noch Künstler werden! Sich sein Geld mit Konzertauftritten verdienen! Wir sind trotz allem eine bodenständige Familie. Alles Banker, Professoren und natürlich Diplomaten und Politiker, aber einen Künstler gab es noch nicht. Ich bin also in jeder Hinsicht der Exot. Es war für mich schwieriger ihnen zu beichten, dass ich das Studium abgebrochen habe, als damals zu sagen, dass ich auf Jungs stehe... Aber der Erfolg gibt mir recht, würde ich sagen«, schloss Alexis.
    »Und sie lieben dich über alles.«
    »Ja, das tun sie«, lächelte Alexis.
    Federico spürte in seinem Inneren einen kleinen Nadelstich. Er hätte auch gerne so eine Familie. Doch schnell schob er diese unschönen Gedanken beiseite. »Hm, Mathematik. Entschuldige, aber das klingt absurd.«
    »Ist es nicht«, verteidigte Alexis. »Man sagt doch, Musik ist die Sprache der Mathematik. Schau dir doch mal Bachs Fugen an. Für mich waren sie schon immer so klar und präzise wie die schönsten mathematischen Sätze.«
    Man sah Alexis die Begeisterung für diese Thematik förmlich an. Seine Augen leuchteten vergnügt als er Federico weitere Beispiele aufzeigte.
    Mit solch überraschenden Wendungen in seinem Leben konnte Federico nicht aufwarten. Doch seit langer Zeit erzählte er einem anderen Menschen von seiner Kindheit in Sizilien. Bei seiner Tante, der Schwester seiner Mutter, hatte er damals gelebt. Zumindest bis er von Professor Vipatchi entdeckt und er in ein Internat in Rom, später in Paris, gekommen war.
    »Du hast nichts Italienisches an dir. Von deinem Temperament einmal abgesehen«, befand Alexis und spielte zur Verdeutlichung mit Federicos blonden Haaren. »Dein Vater war sicher kein Südländer, oder?«
    »Belgier«, bestätigte Federico. »Er war Architekt, genau wie

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