Holzhammer 02 - Teufelshorn
Mit solchen Zacken konnte man sich gut die Hose und die Wade aufreißen, außerdem waren sie recht schwer. Grödel hingegen hatten nur sechs oder acht kleine senkrechte Zacken im Vorderfußbereich und waren insgesamt viel leichter gebaut. Nach ihren Informationen aus diversen Bergforen waren sie für ihre Zwecke völlig ausreichend.
Doch Max hatte mindestens zehn Minuten lang das Für und Wider abgewogen. «Vielleicht willst du ja doch mal eine Rinne gehen», hatte er zu bedenken gegeben. Dann nämlich würde sie Frontzacken brauchen. Er hatte auch gefragt, was für Bergstiefel sie benutzte. Sie gab an, dass ihre Treter vom Hersteller als «bedingt steigeisenfest» eingestuft waren. Doch Max hatte auch dazu eine andere Meinung gehabt. Er erklärte ihr, dass die Steigeisen vorn und hinten eine Körbchenbindung haben müssten, um zu ihren Schuhen zu passen. Doch weder von den Grödeln noch von den Steigeisen hatte er ein Paar in ihrer Größe auf Lager gehabt. Daher zeigte er ihr ein entsprechendes Ausstellungsstück in Herrengröße «Falls du sie woanders kaufst: So muss das aussehen, vorn und hinten», hatte er ihr erklärt.
So etwas hatte Christine in ihrem ganzen Leben noch nicht erlebt: ein Verkäufer, der ihr erklärte, worauf sie achten musste, wenn sie das Gerät woanders kaufte. Schließlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass für Christine doch die Grödel ausreichten. Und schon hatte Max seinen dicken Händlerkatalog gewälzt. Er hatte ihr einen Hersteller empfohlen und auch erklärt, warum: Nur dieser produzierte die maßgeblichen Metallteile selbst, er belieferte auch andere Marken damit. «Siehst du, die sind genau gleich.» Seitdem kaufte sie jegliche Ausrüstung in dem kleinen Laden und stöberte auch manchmal ziellos dort herum. So bekam sie noch weitere Beratungsgespräche mit, die ähnlich abliefen wie bei ihr. Ja, hier gab es die beste Beratung. Man musste nur genug Zeit mitbringen, um sich das alles anzuhören. Zumal Max Saumtrager immer extrem langsam sprach. Christine hatte inzwischen sogar den Verdacht, dass er diese Taktik bei Feriengästen ganz bewusst anwandte. Urlauber hatten nicht viel Zeit, denn sie mussten ja in ein oder zwei Wochen alles erleben, was es in Berchtesgaden zu erleben gab. Wenn diese Erlebnishungrigen nun Max in die Hände fielen, hatten sie keine andere Chance, seinen Redefluss zu unterbrechen, als mit den Worten «Ich nehme alles!» zur Kasse zu hasten.
Max kannte seine Pappenheimer und vor allem die Bedürfnisse der Berchtesgadener ganz genau. Dabei war er selbst in Wirklichkeit ein Zugereister aus Franken. Aber Max war schon seit zig Jahren hier, hatte eine Einheimische geheiratet, machte im Sommer die Kletterberge unsicher und gab im Winter Lawinenkurse. Da drückten die Einheimischen dann auch beim Dialekt schon mal ein Auge zu. Als es im Geschäft einmal ruhiger zuging, hatte er Christine erklärt, worauf der Berchtesgadener am meisten Wert legte: «Gewicht is ois.»
Materialien wie Carbon für Stöcke und Lawinensonden waren ja heutzutage schon fast selbstverständlich. Aber der Berchtesgadener war nach Aussage von Max noch einen Tick extremer. Er kaufte nicht nur die Carbonsonde, sondern diese auch in der allerkürzesten Ausführung, nach dem Motto: «Wenn man tiefer sondieren muss, hat es eh keinen Zweck mehr.»
Christine hatte nachgefragt, wie dann die beträchtlichen Rucksackgrößen zustande kamen, die regelmäßig im Nationalpark an ihr vorbeigetragen wurden. Auch darauf hatte Max die passende Antwort gewusst: Man wollte zwar alles so leicht wie möglich, aber trotzdem auf nichts verzichten. So wurden dann an der Regenjacke 50 Gramm eingespart, aber dafür ein großes Fernglas zu 700 Gramm eingepackt und dazu noch ein Schachspiel, falls es auf der Hütte langweilig wurde. Damit hatte er sicher recht, denn während Christine ihre Lebensmittel nach möglichst hohem Kaloriengehalt aussuchte, um Gewicht zu sparen, sah sie andere Bergsteiger oft kiloweise Äpfel aus den Tiefen ihrer Rucksäcke befördern.
Christine probierte mehrere Klettersteigsets. In einer Ecke des Ladens war eine kleine Kletterwand eingebaut, an der man sich einhängen und den Sitz des Gurtes unter Last prüfen konnte. Während sie so von der Wand baumelte, fiel ihr ein, dass Max Saumtrager ja auch bei der tragischen Tour am Teufelshorn dabei gewesen war. Und dass Holzhammer gesagt hatte, Max sei nicht verdächtig. Sollte sie ihn darauf ansprechen? Nein, die Frage, ob er etwas
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