Holzhammer 02 - Teufelshorn
gesehen habe, hatte Holzhammer ja sicher schon gestellt. Das kam ihr auch gar nicht zu. Wie konnte sie das Gespräch unverfänglich in diese Richtung lenken?
«Die arme Frau Stranek», sagte Christine unvermittelt, während Max ihr noch weitere Gurte zum Probieren herauslegte.
Max schaute von dem Gurtzeug auf, das er gerade für sie zum Einsteigen herrichtete. Mit etwas gequältem Gesichtsausdruck gab er ein Geräusch von sich, das eher nach Zweifel denn nach Zustimmung klang. Das war die ganze Antwort.
Merkwürdig, wo er doch sonst so redselig war. Christine registrierte, dass es für diesen offenen Menschen schwierig sein musste, einmal etwas für sich zu behalten. Deshalb der gequälte Gesichtsausdruck. Sie machte eine mentale Liste der möglichen Gründe für sein Schweigen: Entweder ihm war das Thema aus irgendeinem Grunde unangenehm. Oder er wusste etwas, das er nicht sagen wollte. Oder nicht sagen durfte. Auf jeden Fall hatte er sich sehr bewusst zurückgehalten, und daher würde sie auch nichts weiter herausbekommen.
Schon fiel Max wieder in seinen üblichen Duktus und erklärte ihr die Vorteile eines Klettersteigsets mit Drehgelenk.
Als sie erwähnte, dass sie am Wochenende überhaupt ihren allerersten Klettersteig gehen wollte, hatte er gleich noch einen weiteren Tipp: «Da nimmst noch a kurze Bandschlinge mit, dann kannst dich jederzeit ausruhen.»
Wie, man konnte sich nicht jederzeit ausruhen? Das klang ja unangenehm.
Max zeigte ihr, was er meinte: Die karabinerbewehrten Enden des Y-Sets mussten so lang sein, dass man jederzeit auf den vorgesehenen Tritten gehen und dabei eingehängt bleiben konnte. Sie waren daher länger als die Arme des Trägers. Damit sie trotzdem nicht im Weg rumhingen, waren zwar Gummibänder eingebaut, die sie immer auf das notwendige Maß zusammenzogen. Aber wenn man sich mit vollem Gewicht dranhängte, um sich auszuruhen, dann weitete sich das Gummiband logischerweise zur maximalen Länge. Wenn man sich also zum Ausruhen einfach in den Gurt fallen ließ, würde man bei Quergängen irgendwo unterhalb des Klettersteigs in der Wand baumeln und mit den Händen gar nicht mehr ans Drahtseil kommen. Wenn man aber zusätzlich eine kurze Bandschlinge mit Karabiner am Gurt hatte, konnte man die zusätzlich zum Y-Set einhängen und sich genau da fixieren, wo man gerade stand, auch in Quergängen.
Schließlich kaufte Christine das empfohlene Y-Set und den Gurt, der am bequemsten saß, dazu noch eine Bandschlinge plus Zusatzkarabiner. Dann musste sie zurück in die Klinik. Aber unterwegs tagträumte sie schon wieder von der nächsten Bergtour.
Im letzten Jahr hatte sie sich praktisch von Tour zu Tour gesteigert, und im gleichen Maße wie ihre Begeisterung war auch ihr Mut gewachsen, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Zunächst hatte sie die preisgünstigen Wanderführer vom Rother-Verlag durchforstet, die jede Tour sehr übersichtlich mit Foto und Höhenprofil beschrieben. Der Verlag saß ganz in der Nähe im Chiemgau, kein Wunder, dass die Autoren sich gut auskannten. Dann war ihr ein Buch in die Hände gefallen mit dem Titel «Vergessene Pfade rund um den Königssee». Das Buch enthielt einige Touren, die in ihrer Kompasskarte gar nicht eingezeichnet waren. Oft gab es auch keinerlei Wegmarkierungen. Nur eine undeutlich erkennbare Spur oder ein paar Steinmänner. Die Wege wurden begangen, wahrscheinlich schon seit langer Zeit – fragte sich nur, von wem? Und woher wussten die Begeher von diesen Pfaden?
Am Freitag war es über Mittag noch einmal fast 20 Grad warm, ein goldener Herbsttag, den Franz Holzhammer auf der Veranda seiner Gartenhütte verbrachte. In einem Monat würde hier bereits ein Vogelhäuschen hängen. Er hatte heute frei, weil er am Montag, dem Feiertag, Dienst schieben sollte.
Dass draußen, gar nicht weit weg von ihm, höchstwahrscheinlich ein Mörder frei herumlief, beunruhigte ihn nicht weiter. Der Kreis der Verdächtigen stand fest, und bei keinem von ihnen bestand Fluchtgefahr. Auch eine weitere Mordtat war nach seinem persönlichen Ermessen nicht zu befürchten. Und sein persönliches Ermessen war das einzige, was zählte, solange sein Chef sich nicht allzu sehr einmischte.
Sein Handy klingelte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Entweder war es Marie, die ihn ins Haus rief, oder die Dienststelle mit irgendeinem Mist.
Es war aber Alois Seiler: «Ich hätte eine wichtige Mitteilung zu machen», sagte der.
«Und welche, bittschön?», fragte Holzhammer.
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