Holzhammer 02 - Teufelshorn
auch einen Namen, wie Reitsteig oder Luchsgang. Aber eine Nummer? Kein Einheimischer wusste, welche Nummern der Alpenverein den Wegen willkürlich zugeteilt hatte.
Bürgermeister Hias wohnte im Mooslehen, einem der ältesten Bauernhöfe in der Schönau. Er hatte das Anwesen recht kostspielig renovieren lassen. Durch die Zusatzeinnahmen aus der Zimmervermietung lief es gut, und mit seinem Bürgermeistergehalt konnte er auch für die nächste Wahlperiode fest rechnen. Er riss sich ein Bein aus für die Gemeinde, und jeder wusste das. Er hatte Kurse für Betriebswirtschaft und Verwaltung besucht, er hatte Ideen und brachte die Gemeinde jedes Jahr ein Stück voran. Gelernt hatte er eigentlich Hotelkaufmann, aber das half nicht besonders bei der Regierung einer Gemeinde, und sei sie noch so abhängig vom Tourismus.
Er war allgemein beliebt und konnte auch mit den echten Großkopferten in München. Selbst wenn er beim Frühlingsfest mal nach fünf Maß in die Rabatte fiel, nahm ihm das niemand übel, es wirkte vielmehr volksnah. Nur seine Frau Resi sah das anders. Sie stammte aus einer feinen Hoteliersfamilie, in der man selbstverständlich auf Umgangsformen achtete. Als Empfangschefin des elterlichen Hotels direkt am See hatte sie in ihrer Jugend mehrere gekrönte Häupter persönlich begrüßt.
Die beiden saßen beim Frühstück im neu angebauten Wintergarten, den Resi mit großen Bodenvasen, Strohblumen und einem Zimmerbrunnen dekoriert hatte. Auch der Frühstückstisch war liebevoll gedeckt. In der Mitte prangte ein bunter Blumenstrauß, den die Hausfrau im Garten frisch geschnitten hatte.
Es schellte an der Tür. Resi ging öffnen. Draußen stand Hauptwachtmeister Holzhammer mit einem Zettel in der Hand und einem schuldbewussten Gesicht: «Grüß dich, Resi, i muass zum Hias.»
«Es ist Samstag, mir sitzen beim Frühstück. Was kann denn so wichtig sein?», fragte sie leicht verärgert. Resi sah es als ihre Aufgabe an, ihrem vielbeschäftigten Mann wenigstens einen Rest Privatleben zu bewahren.
«Duad ma load, aber es kimmt ned von mir», antwortete Holzhammer und ging an ihr vorbei in den Wintergarten, wo der Bürgermeister gerade seine zweite Semmel aufschnitt.
Gelassen blickte der auf: «Franz, grias di, was ist denn?»
«Ähm, Hias, i muass di verhaft’n. Sieh selbst, da steht’s.» Holzhammer hielt den Zettel hoch. Der Wisch aus Traunstein war Holzhammer heute Morgen praktisch ans Bett geliefert worden.
«Wos? Wos sagst?» Der Bürgermeister blickte entgeistert von seiner Semmel auf. «Ja, spinnst denn du jetzt völligst?»
«Na, der spinnt, des is der Fischer. Er lasst di verhaften.»
«Und weswegen, wenn i fragen derf?»
«Erst mal wegen Bestechung und dann auch noch wegen Mordverdacht.» Holzhammer fand es selbst völlig lächerlich, was er da von sich gab. Aber das stand nun mal auf dem Haftbefehl.
«Großartig, das ist ja ganz großartig!» Der Bürgermeister fing jetzt haltlos an zu lachen. «Ihr seid ganz große Kriminaler, was!» Er lachte und konnte sich überhaupt nicht wieder einkriegen.
«Bitt schön, pack jetzt a paar Sachen ein.» Holzhammer wurde die Sache zunehmend peinlich, er wollte es hinter sich bringen.
Hias blickte zu seiner Frau. Resi stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. «Schatzl, reg di ned auf, das klärt sich», sagte der Bürgermeister. «Ich geh jetzt mit, und in a paar Stund bin i wieder da.» Damit stand er auf und wandte sich so, wie er war, zum Gehen.
Holzhammer wagte nicht einzuwerfen, dass vielleicht doch eine Zahnbürste angezeigt wäre.
Christine stieg in ihren geliebten Z3 und fuhr durch die Schönau Richtung Königssee. In Unterstein fielen ihr zum ersten Mal die handgemalten Plakate auf. Da stand «Wir wollen unseren Pfarrer Miro wiederhaben». Das war wieder so eine typisch Berchtesgadener Geschichte, eine von denen, über die Christine sich immer noch wunderte, obwohl sie es inzwischen besser wissen sollte.
Von einem Tag auf den anderen war der äußerst beliebte Pfarrer plötzlich weg gewesen. Und man hatte im Anzeiger lesen dürfen, dass er offensichtlich in Österreich einen Prozess am Hals hatte. Wegen Stalking. Wegen Stalking eines Seminaristen. In jeder deutschen Großstadt hätte sich daraufhin die geballte Empörung der frommen Kirchgänger auf den Priester entladen – und alle hätten es schon immer gewusst. Nicht so in Schönau am Königssee: Die Schönauer wollten ihren Pfarrer wiederhaben. Der hatte gut gepredigt, immer die alten
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