Holzhammer 02 - Teufelshorn
ertappte sich dabei, dass sie ihn um seinen Beruf beneidete. Im Gegensatz zu ihr hatte er ausschließlich mit Leuten zu tun, die freiwillig kamen, die von ihm lernen wollten, ihn bewunderten, ihm nacheiferten und dafür auch noch Geld bezahlten. Und das Beste: Er war den ganzen Tag an der frischen Luft und konnte seinem Hobby nachgehen.
Sie selbst hingegen saß den ganzen Tag in ihrem pompösen Büro, und die Patienten, die zu ihr kamen, waren oft alles andere als motiviert – von Bewunderung ganz zu schweigen. Viele kamen mit einer völlig passiven Haltung und erwarteten einfach, dass sie die Dinge schon irgendwie richten würde – ohne dass sie selbst etwas dazu beitragen mussten. Was natürlich unmöglich war – oder einem Wunder gleichgekommen wäre. Christine konnte weder den Lauf der Welt ändern noch die Gemütslage ihrer Patienten durch Handauflegen verbessern. Eigentlich liebte sie ihren Beruf, aber sie konnte eben nur Hilfe zur Selbsthilfe geben, ihre Patienten neue Einsichten gewinnen lassen und ihnen Denkanstöße geben, wie sie ihr Leben und ihre Probleme anders angehen konnten. Das, was im eigenen Kopf vorging, konnte man nur selbst ändern. Oder man nahm Psychopharmaka.
Christine stopfte das Klettersteigset in den Rucksack und brachte auch den Helm wieder unter dem vorgesehenen Netz unter. Neben ihr auf der Bierbank saßen Norddeutsche mit Kindern.
Zwischendurch bestellte sie ein Radler und eine Gulaschsuppe. Ihr Blick schweifte zur Brüstung, hinter der es steil abwärtsging. Rechts ragte aus der Tiefe ein spitzer Felsen auf, das sogenannte Klingerkircherl. Die brüchige Spitze erreichte nicht einmal das Niveau der Brüstung, trotzdem trug sie mittlerweile stolz ein professionelles Gipfelkreuz inklusive Wandbuch. Um dorthin zu gelangen, musste man allerdings besser klettern können als Christine. Matthias hatte ihr einmal erzählt, dass sein Vater mit Freunden das erste Kreuz auf dem Klingerkircherl errichtet hatte. Zu diesem Zweck hatten die Buben zwei Stücke Wasserrohr hinaufgeschafft – und Zement zur Befestigung. Nur mit dem Wasser hatte es gehapert, daher hatten sie sich gezwungen gesehen, auf den Zement zu pieseln, bis er die passende Konsistenz hatte.
Nanu, dort am Geländer lehnte ja die sportliche Frau vom Einstieg. Normalerweise hätte sie schon längst wieder daheim sein können, bei dem Tempo, das sie vorgelegt hatte. Aber nach dem zügigen Aufstieg hatte sie anscheinend herumgetrödelt – warum wohl? Wieder bemerkte Christine, dass die Blicke der Frau und die des Bergführers sich trafen. Diesmal grüßten sie gar nicht, sondern nickten sich nur zu. Zu viele Zeugen?
Etwas müde, mit schweren Beinen und schweren Armen, kam Christine nach Hause. Vor der Garage stand das schwere rote BMW-Motorrad. Matthias war inzwischen also auch nach Hause gekommen. Drinnen traf sie den sonst so Sanften in einem Zustand, in dem sie ihn noch nie erlebt hatte. Normalerweise prallte Stress ja an ihm ab wie Wasser an einer Lotosblüte. Aber jetzt hatte sie ein 1,94 Meter großes Rumpelstilzchen vor sich: Matthias sprang in der Wohnküche herum, dass der Fußboden bebte. Es sah aus, als würde er gleich explodieren, Dinge gegen die Wand werfen, Türen knallen oder sogar Leute schlagen. Sehr unbuddhistisch. Außerdem hatte er seine Motorrad-Montur noch an. Der Grund war schnell geklärt: «Gerade hat Holzhammer angerufen. Er hat den Hias verhaftet. Und ich bin schuld.»
Christine verkniff sich die Bemerkung, dass Matthias ihr doch mehrfach erklärt habe, Schuld gebe es nicht, Schuld sei ein christliches Konzept. Stattdessen fragte sie: «Wieso das denn? Was ist denn passiert?»
Matthias erzählte ihr von seiner kleinen Recherche in den Kontendaten. Dazu war er bisher noch gar nicht gekommen. «Ich hab dann den Holzhammer angerufen und ihm das Ergebnis gesagt. Und da hat der nichts Eiligeres zum tun, als das diesem depperten Fischer zu stecken. Und der geht her und lasst den Hias verhaften. A halberts Jahr vor der Gemeindewahl. Des muaß sich einer mal vorstellen!»
«Und jetzt?», fragte Christine.
«Jetzt besuch ich ihn im Café Viereck», sagte Matthias. «Holzhammer hat gerade angerufen und seine Heldentat gemeldet. Er hat den Hias persönlich verhaftet, stell dir des vor! Angeblich um weiteres Aufsehen zu vermeiden. Aber dem hab ich die Wadln führi g’richt, des kannst ma glauben. Auf jeden Fall ist der Hias jetzt noch in Berchtsgon, aber in a paar Dog wird er nach Reichahoi überstellt,
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