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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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kleinen Mädchens ausgegraben. Landsman hatte bei der Sittenpolizei im Sittendezernat angefragt, ob es Berichte über Vorfälle aus jüngerer Zeit in Reservoir Hill gebe. Und mit Erlaubnis der Familie hatte sich Pellegrini im Zimmer des Kindes umgeschaut,sein rosa und blau eingebundenes Tagebuch gelesen, sogar den Film in der Kamera entwickelt. Außerdem hatten sämtliche Detectives und sonstigen Ermittler der Sonderkommission Stunden damit zugebracht, die Anrufe abzuarbeiten, die nach jeder Fernsehsendung, in der von dem Fall die Rede war, eingingen.
    »Der Mörder von Latonya Wallace wohnt in meinem Haus.«
    »Die ganze Familie steckt im Drogengeschäft. Der Mord an dem Mädchen war eine Warnung.«
    »Mein Freund hat sie umgebracht.«
    Als eine halb blinde Zweiundneunzigjährige behauptete, am Nachmittag des 2. Februar ein Mädchen in einem roten Regenmantel beim Betreten einer Kirche in der Park Avenue gesehen zu haben, organisierte Pellegrini pflichtgemäß die Überprüfung des Gebäudes und eine Befragung des Priesters. Der damit beauftragte Polizist wollte wissen, was er den Kirchenmann fragen solle. Pellegrini zuckte nur mit den Schultern und antwortete ihm so trocken, wie so etwas sonst nur Landsman brachte: »Fragen Sie ihn einfach: ›Warum haben Sie das Mädchen umgebracht? ‹«
    Die anonymen Anrufe und die angeblichen Sichtungen führten genauso wenig zu einem Ziel wie all die anderen Wege, die sie im Labyrinth des Latonya-Wallace-Falls eingeschlagen hatten. Wo, fragt sich Landsman, hatten sie noch nicht nachgeschaut, an welcher Tür waren sie bislang achtlos vorbeigegangen. Was, verdammt noch mal, hatten sie übersehen?
    Der Sergeant ist schon fast zu Hause, als ein neuer Gedanke durch die dicke Faktenkruste in seinem Kopf bricht: das Auto. Ganz in der Nähe der Tür. Ein kühler, trockener Platz.
    Der Lincoln des Nachbarn, verdammt! Das einzige Auto, das jemals hinter den Häusern gesehen wurde. Und es stand direkt am Zaun des Hinterhofs der Newington 718. Verflucht noch mal!
    Landsman fährt auf die rechte Spur der Liberty Road, nimmt den Fuß vom Gas und hält nach einem Münztelefon Ausschau, um Pellegrini und Edgerton anzurufen und ihnen zu sagen, dass sie noch nicht nach Hause fahren sollen.
    Zwanzig Minuten später stürmt der Sergeant ins Büro. Er ist wütend auf sich, dass er nicht früher darauf gekommen ist. »Direkt vor unserer Nase«, sagt er zu Pellegrini. »Das ist es. Das ist die Lösung.«
    Landsman erklärt den beiden Detectives seine Theorie: »Wenn sie am Dienstag getötet wurde, dann muss er die Leiche eine Weile an einem kühlen, trockenen Platz versteckt haben, ansonsten hätte die Verwesung eher eingesetzt, oder? Also hat er sie durch die Hintertür hinaus geschafft und in den Kofferraum des Autos gelegt, wahrscheinlich, um sie nachts irgendwo abzuladen. Aber aus irgendeinem Grund hat er das dann doch nicht gemacht. Vielleicht hat er es mit der Angst zu tun bekommen …«
    »Du meinst den Kerl in der 716?« fragt Edgerton.
    »Ja, den Ehemann von Ollies Nachbarin. Wie heißt der noch mal?«
    »Andrew«, sagt Pellegrini.
    »Genau, Andrew. Der Typ, den Ollie nicht ausstehen kann.«
    Landsman erinnert sich an die ersten Stunden der Ermittlungen. Damals hatten sie Ollies Mann, den Alten aus der Newington 718, der die Leiche des Kindes fand, gefragt, ob es jemanden gab, der seinen Wagen hinter dem Haus parke. Er hatte seinen Nachbarn genannt, einen Mann mittleren Alters, der erst vor Kurzem eine Frau aus der 716 geheiratet hatte, eine fromme Kirchgängerin. Der ließ seinen Lincoln Continental oft hinterm Haus stehen. Dort hatte der Wagen auch in der Woche vor der Entdeckung der Leiche die meiste Zeit über gestanden.
    »Als er mir das erzählte, ist er sogar ans Fenster gegangen und hat nachgesehen, ob er noch da steht.« Landsman kommt zum Punkt: »Der Mistkerl hat das Auto umgesetzt. Er parkt sonst immer hinter dem Haus. Warum hat er seinen bescheuerten Lincoln ausgerechnet an diesem Morgen vor dem Haus auf die Straße gestellt?«
    Edgerton kramt die Akte des Mannes aus der 716 heraus: keine Sexualdelikte, aber auch nicht gerade jemand, der zu allen Zeiten seines Lebens ein Musterknabe gewesen war.
    »Und dann noch was«, sagt Landsman. »Das verstehe ich nicht, mit diesem Andrew. Wieso heiratet ein Typ mit so einem Vorstrafenregister eine fromme Seele? Da ist doch was faul.«
    Es ist fast neun Uhr abends, aber Landsman ist zu aufgedreht, um Schluss zu machen. Also schnappt sich

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