Homicide
denn da draußen?«, fragte Nolan dann.
»Mord, Mister«, antwortete Garvey.
Der Mann brauchte nur alle drei Wochen einen frischen Mordfall, und er war zufrieden. Kamen noch mehr dazu, war er glücklich. Einmal, als er Nachtschicht hatte, im Sommer 1987, hatten Garvey und Donald Worden fünf Morde in fünf Tagen, drei davon allein in einer Nacht. Es war eine Nachtschicht von der Sorte, bei der ein Detective kaum noch auseinanderhalten kann, welchen Zeugen von welchem Mord er vor sich hat. (»Okay, alle von der Etting Street mal die rechte Hand heben.«) Dennoch wurden vier von den fünf aufgeklärt, und Garvey und dem Big Man blieb diese Woche stets in bester Erinnerung.
Fragt man jedoch andere Detectives, wer ihrer Meinung nach die Besten am Tatort sind, werden sie Terry McLarney, Eddie Brown, Kevin Davis aus Stantons Truppe und Garveys Partner Bob McAllister nennen. Fragt man, wer die besten Verhöre durchzieht, fallen auch die Namen Donald Kincaid, Kevin Davis, Jay Landsman und vielleicht noch Harry Edgerton, wenn seine Kollegen gerade milde genug sind, auch Unruhestifter zu loben. Und die, die sich als Zeugen vor Gericht bewähren? Gewöhnlich werden hier Landsman, McAllister und Edgerton genannt. Die Besten draußen auf der Straße? Worden, keine Frage, dicht dahinter Edgerton.
Und Garvey?
»O mein Gott, ja«, werden seine Kollegen sagen, als fiele er ihnen gerade erst wieder ein. »Ein verdammt guter Detective.«
Warum?
»Er lässt nie locker.«
Für einen Detective der Mordkommission ist das schon der halbe Sieg, und als an diesem Abend Robert Frazier bei der Mordkommission auftaucht, ist man in der Schlacht im Fall Lena Lucas und Purnell Booker dem Sieg noch einen Schritt näher.
Frazier ist groß und schlaksig, hat einen dunklen Teint und tief liegende braune Augen. Über der hohen, steilen Stirn zeigt das kurz geschorene Haar erste Ansätze von Geheimratsecken. Er bewegt sich wiejemand, der sein Leben an Straßenecken verbracht hat, schwebt in flüssigem Zuhältergang durch den Flur im fünften Stock zu den Vernehmungsräumen, lässt Schultern und Hüften seinen Körper rhythmisch wie eine Lokomotive voranschieben. In Fraziers Gesicht scheint ein irritierendes Starren eingefroren, das umso einschüchternder wirken kann, als er kaum jemals mit den Wimpern zuckt. Seine mit tiefer, monotoner Stimme artikulierten Sätze sind von einer Lakonie, bei der man nicht weiß, ob sie das Ergebnis sparsamster Wortwahl oder eines dürftigen Wortschatzes sind. Der sechsunddreißig Jahre alte Robert Frazier arbeitet in Teilzeit in einem Stahlwerk und ist zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sein kleines Kokainunternehmen ist sozusagen sein zweites Standbein. Er hat sich auch in bewaffnetem Raub versucht, doch seine Lehrzeit wurde abrupt von einer sechsjährigen Freiheitsstrafe unterbrochen.
Ein Gesamtbild, an dem Garvey seine helle Freude hat, ist doch Robert Frazier geradezu der Idealtyp des Mörders.
Eine große Genugtuung ist das natürlich nicht, aber es lässt die Verbrecherjagd vielleicht doch ein wenig lohnender erscheinen. Was sonst so in Baltimore auf der Anklagebank sitzt, scheint auf den ersten Blick nur selten fähig, mutwillig menschliches Leben zu zerstören. Und auch nach vierzig oder fünfzig Fällen kann es noch vorkommen, dass ein Detective enttäuscht ist, wenn die für einen höchst verbrecherischen Akt verantwortliche Person nicht unheimlicher aussieht als der Verkäufer im Supermarkt um die Ecke. Alkoholiker, Junkies, Mütter, die Sozialhilfe beziehen, psychisch Gestörte, schwarze Jugendliche in Markenklamotten – die meisten von denen, die Anspruch auf eine Unterkunft im Trakt für Mörder in Baltimores Gefängnissen haben, wirken nicht gerade bedrohlich. Frazier aber, mit seinem leisen Grummeln und diesem in unendliche Ferne starrenden Blick, hat doch dieses gewisse Etwas, das der Sache ein wenig Spannung verleiht. Er ist der Mann, für den die großkalibrigen Handfeuerwaffen gemacht sind.
Doch all das löst sich in Luft auf, sobald er den Vernehmungsraum betritt. Kaum hat er Garvey gegenüber Platz genommen, zeigt er sich absolut kooperativ in allen Fragen, die den gewaltsamen Tod seiner Freundin betreffen. Nicht nur das, er kann sogar einen plausibleren Verdächtigen liefern.
Natürlich hatte es Garvey und Donald Kincaid ein ganz schönes Stück Arbeit gekostet, Frazier dazu zu bringen, freiwillig im Morddezernat zu erscheinen. Kincaid war als zweiter Detective eingesprungen, weil
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