Homicide
Schreibtisch, die restlichen verteilt er im Büro. Der mit einem feinen Humor gesegnete Garvey weiß natürlich, dass das purer Schwulst ist. Aber gerade darum gefällt ihm das Zitat so sehr.
Er kam in einem irisch geprägten Arbeiterviertel von Chicago zur Welt, als einziger Sohn eines Verkaufsleiters des Versandhandels Spiegel. Bis zu dem Tag, als das Unternehmen seine Arbeitskraft für entbehrlich hielt, verdiente Garveys Vater recht gut, sodass die Familie sich den Umzug in einen Vorort leisten konnte, als das Viertel Ende der 1950er-Jahre auf den Hund kam. Der alte Garvey übertrug seine Ambitionen von nun an auf seinen Sohn, den er sich als zukünftigen Verkaufsleiter vorstellte, vielleicht sogar bei Spiegel. Aber Garvey hatte anderes im Sinn.
Ein paar Jahre lang besuchte er ein kleines College in Iowa und machte danach seinen Abschluss in Kriminalwissenschaft an der Kent State University. Nachdem die Nationalgarde 1970 auf dem Ohio Campus auf Vietnamdemonstranten geschossen hatte, hielt sich Garvey fern von den Protesten. Wie viele Studenten hatte er Zweifel an dem Krieg, aber an jenem Tag hatte er auch ein Seminar, und wenn der Campus nach den tödlichen Schüssen nicht abgeriegelt gewesen wäre, hätte Garvey womöglich brav im Hörsaal gesessen und mitgeschrieben. Der junge Mann schwamm nicht mit dem Strom seiner Zeit, er strebte eine Polizeikarriere an, als Gesetzeshüter nicht gerade die Helden der amerikanischen Jugend waren. Garvey hatte seine eigene Sicht der Dinge. Die Polizeiarbeit würde nie langweilig werden, davon war er fest überzeugt. Und ein Cop würde immer Arbeit finden, selbst in der schlimmsten Wirtschaftskrise.
Nach seinem Abschluss aber wollte sich dies nicht so recht bewahrheiten. Mitte der 1970er-Jahre gab es kaum offene Stellen, da in vielen Städten wegen der hohen Inflation auch bei der Polizei gespart wurde.So fing der frischgetraute Garvey – er hatte eine Kommilitonin geheiratet – erst einmal beim Sicherheitsdienst Montgomery Ward an. Fast ein Jahr später erfuhr er, dass die Polizeidirektion von Baltimore Streifenpolizisten einstellte und insbesondere Collegeabsolventen mit Prämien und Vergünstigungen lockte. Er und seine Frau fuhren nach Maryland und sahen sich die Stadt und die umliegende Gegend an. Bei der Fahrt durch die sanften, geschwungenen Täler und die ausgedehnten Gestüte im Norden von Baltimore verliebten sie sich in die Landschaft rund um die Chesapeake Bay – ein hübsches Fleckchen Erde, um eine Familie zu gründen. Dann machte Garvey allein eine Tour durch die Ghettos der Stadt – Eastside, Westside, Lower Park Heights –, um sich anzuschauen, wo er seinen Lebensunterhalt verdienen würde.
Nach der Polizeiakademie kam er in den Central District, wo er an der Ecke Brookfield Avenue und Whitelock Street Posten bezog. Es gab viel zu tun. Reservoir Hill war schon in den 1970er-Jahren so heruntergekommen wie zehn Jahre später, als man dort Latonya Wallace tot hinter den Häusern fand. McLarney konnte sich noch gut an ihre gemeinsame Zeit im Central erinnern, wo Garvey sein bester Mann war. »Er nahm jeden Fall, und er legte sich immer voll ins Zeug«, sagte McLarney und stellte ihm damit das beste Zeugnis für genau die beiden Eigenschaften aus, auf die es in einem Streifenwagen ankommt.
Sein Arbeitseifer brachte Garvey rasch voran: sechs Jahre Streife im Central, dann weitere vier als Spezialist für Einbrüche im Raubdezernat und schließlich die Versetzung ins Morddezernat im Juni 1985. Dort war er bald die tragende Säule von Roger Nolans Truppe. Kincaid war der erfahrene Veteran, Edgerton der gewiefte Einzelgänger, aber Garvey übernahm den Löwenanteil der Fälle und arbeitete ebenso gut mit McAllister, Kincaid, Bowman wie jedem anderen warmen und atmenden Menschen zusammen, der mit ihm die kalte Kundschaft bediente. Wenn andere Detectives in der Truppe über Edgertons Faulheit schimpften, dann war es bezeichnend, dass Garvey ohne jeden Sarkasmus bemerkte, er könne sich nicht beschweren.
»Harry macht eben, was er kann«, meinte er. Und als wäre Mord in Baltimore eine Art Luxusware, fügte er hinzu: »Umso mehr bleibt für mich übrig.« Garvey war wirklich gerne bei der Mordkommission. Der Tatort, die aufregende Verfolgung, das Klicken der Handschellen, alldas gefiel ihm. Selbst das Wort – Mord – hat für ihn seinen aufregenden Klang behalten. Man merkte es an der Art, wie er es aussprach, wenn er vom Tatort zurückkam.
»Was gab’s
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