Homicide
Doch der Großteil der Frauen und Männer, die ins Präsidium gebracht werden, hat kein Interesse an einer Absolution. Ralph Waldo Emerson bemerkte zu Recht, dass für den Schuldigender Akt des Tötens »kein so niederschmetternder Gedanke ist wie für den Dichter und Romancier; er beunruhigt ihn nicht und schreckt ihn nicht so sehr, dass er ihn auch von seinen alltäglichen banalen Gedanken abhielte.« Und obwohl West Baltimore Welten von dem Nest im Massachusetts des 19. Jahrhunderts entfernt ist, in dem Emerson viele Jahre seines Lebens verbrachte, hat seine Beobachtung ihre Gültigkeit nicht verloren. Mord beunruhigt die meisten Menschen nicht sonderlich. In Baltimore verdirbt er ihnen nicht einmal den Tag.
So müssen die Detectives die Mehrheit derjenigen, die ihre Beteiligung an einem Tötungsdelikts bekennen, mit etwas anderem aus der Reserve locken als bloß mit Reue. Sie müssen sie glauben machen, dass ihr Verbrechen eigentlich kein Mord ist, dass sie keine billigen Allerweltsausreden vorbringen und man ihnen Glauben schenkt, dass der Detective ihnen hilft, am Ende als weniger schlimm dazustehen, als sie es in Wirklichkeit sind.
Manche werden zu dieser unlogischen Schlussfolgerung verleitet, indem man ihnen nahelegt, sie hätten in Notwehr gehandelt oder seien provoziert worden. Andere fallen auf die Behauptung herein, sie seien weniger schuldig als ihre Mittäter – ich habe nur den Wagen gefahren oder bei dem Raub Schmiere gestanden, ich habe nicht geschossen; ja, ich habe sie vergewaltigt, aber ich habe nicht mitgemacht, als die anderen sie gewürgt haben. Sie alle wissen nicht, dass nach den Gesetzen von Maryland jeder, der sich an einem Verbrechen beteiligt, wie der Haupttäter angeklagt werden kann. Wieder andere erliegen dem Glauben, dass sie besser wegkommen, wenn sie kooperieren und eine Teilschuld eingestehen. Und viele von denen, die sich nicht in den Abgrund der Selbstbelastung locken lassen, kann man doch immerhin dazu bringen, ein Alibi zu liefern, zu leugnen und zu erklären – Äußerungen, die so lange überprüft und auseinander genommen werden, bis die Lügen des Tatverdächtigen seine Freiheit nicht weniger in Gefahr bringen als handfeste Beweise.
Deshalb sagen die echten Profis überhaupt nichts. Kein Alibi, keine Erklärungen. Keine Betroffenheit, kein striktes Ableugnen. Ende der 1970er-Jahre, als zwei Typen mit den Namen Dennis Wise und Vernon Collins als Baltimores erste Topberufskiller miteinander um die Produktion der meisten Leichen wetteiferten und niemand aufzutreibenwar, der gegen sie auszusagen bereit war, liefen die Verhöre immer nach demselben Muster ab:
Betreten des Vernehmungsraums.
Miranda.
Haben Sie diesmal was zu sagen, Dennis?
Nein, Sir. Möchte nur meinen Anwalt anrufen.
Schön, Dennis.
Verlassen des Vernehmungsraums.
Wer mit der Maschinerie der Strafjustiz vertraut ist, weiß, dass jeder Anwalt, der sein Honorar wert ist, dieses Spiel aus dem Effeff beherrscht. Wiederholung und Gewöhnung an den immergleichen Ablauf bewirken, dass die Profis bald immun gegen Polizeivernehmungen werden. Der Rest der Welt aber ist auch über zwei Jahrzehnte nach den wegweisenden Entscheidungen, die mit den Namen Escobedo und Miranda verknüpft sind, seltsamerweise noch immer bereit, sich der Gefahr einer Aussage auszusetzen. So betrachten heute dieselben Strafverfolgungsbehörden, die die Miranda-Entscheidung von 1966 als Todesstoß für die polizeiliche Ermittlungsarbeit bezeichnet hatten, diese Rechtsbelehrung als ganz normalen Teil des Verhörs – sie gehört einfach zur Ausstattung eines Reviers wie ein Möbel, und manche räumen ein, dass sie für eine gewisse Mäßigung bei der Polizeiarbeit sorgt.
In einer Zeit, in der bei Verhören Schläge und Gewaltandrohung gang und gäbe waren, stellte das höchste Gericht der Vereinigten Staaten in den nach den Klägern Escobedo und Miranda benannten Entscheidungen klar, dass Geständnisse und Äußerungen in Vernehmungen absolut freiwillig zu erfolgen haben. Die sich daraus ergebende Formulierung der sogenannten Miranda-Rechte waren »eine Schutzmaßnahme, um jeden Zwang in einem Verhör auszuschließen«, wie der Vorsitzende Richter Earl Warren den Mehrheitsbeschluss erläuterte. Seither muss jeder Bürger nicht nur bei einer Verhaftung, sondern auch vor einer Vernehmung über sein Recht, zu schweigen und einen Anwalt zu Rate zu ziehen, aufgeklärt werden.
Auf die Miranda-Entscheidung reagierten die Vertreter der Polizei
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