Homicide
Detective. Unglücklicherweise sind dies aber auch Symptome eines Menschen in jenem Zustand hoher Anspannung, der meist eintritt, wenn man eines Kapitalverbrechens beschuldigt wird. Terry McLarney überlegte einmal, der beste Weg, einen Verdächtigen zu verunsichern, bestehe darin, in allen drei Verhörräumen eine Liste mit den Verhaltensmustern aufzuhängen, die auf Täuschung hindeuten:
Unkooperativ.
Zu kooperativ.
Redet zu viel.
Redet zu wenig.
Erzählt eine völlig plausible Geschichte.
Vermasselt seine Geschichte.
Zuckt zu oft mit den Wimpern, vermeidet Augenkontakt.
Kein Wimpernzucken. Starrt einen an.
Aber auch wenn die Zeichen auf dem Weg uneindeutig sind, so ist kein Irrtum möglich, wenn der entscheidende Augenblick gekommen ist, wenn das Licht am Ende des Tunnels erscheint und ein Schuldiger aufgibt. Und wenn er dann jede Seite des Protokolls mit seinen Initialen versehen hat und wieder allein in dem Vernehmungsraum sitzt, überfallen ihn Erschöpfung und in manchen Fällen Depression. Und wenn der Mann ins Brüten gerät, kann es sogar zu einem Selbstmordversuch kommen.
Aber das ist schon das Nachspiel. Der emotionale Höhepunkt im Verhalten eines Schuldigen ist der kalte Augenblick, bevor er den Mund aufmacht und nach dem Ausweg greift. Kurz bevor jemand in einem Verhörraum Leben und Freiheit aufgibt, bringt sein Körper bereits die Niederlage zum Ausdruck: Seine Augen sind glasig, das Kinn schlaff, der Körper neigt sich zur Wand oder zum Tischrand. Manche legen den Kopf auf den Tisch, um sich auf dem Stuhl zu halten. Manchen wird schlecht, sie legen die Hand auf den Bauch, als hätten sie ein Verdauungsproblem, einige wenige übergeben sich tatsächlich.
In diesem entscheidenden Moment erklärt der Detective seinem Verdächtigen, dass er wirklich krank sei – krank vom Lügen, vom Verbergen der Wahrheit. Er sagt, es sei Zeit, eine neue Seite aufzuschlagen, er werde sich erst wieder besser fühlen, wenn er die Wahrheit sage. Erstaunlicherweise glauben viele das. Während sie nach dem Sims jenes Fensters hoch oben greifen, glauben sie jedes Wort davon.
»Er ist auf Sie los, stimmt’s?«
»Ja, er ist auf mich los.«
Der Ausweg führt sie ins Loch.
Donnerstag, 10. März
»64-31.«
Garvey lauscht zehn Sekunden in die Stille, dann schaltet er das Mikro erneut ein: »64-31«
Wieder nichts. Der Detective im Chevy dreht am Lautstärkeknopfdes Funkgeräts, dann beugt er sich vor, um die Frequenzanzeige zu prüfen. Kanal 7, stimmt doch.
»64-31«, wiederholt er und lässt den Schalter am Handmikro los, bevor er das weniger formelle »Uuuh, juu-huu …« hinzufügt. »Jemand zu Hause im Western? Hallooo …«
Kincaid lacht auf dem Beifahrersitz.
»64-31«, bestätigt endlich die Stimme aus der Zentrale mit einem Nuscheln, das nur leichte Gereiztheit verrät. Es ist allgemein bekannt, dass für die Funkzentrale der Polizei mit großer Sorgfalt nur solche Leute ausgesucht werden, die ständig so klingen, als hätten sie seit einem Monat nichts als Bowlingturniere im Fernsehen gesehen. Vielleicht liegt es an dem Job selbst, vielleicht auch an dem metallischen Krächzen der Anlage, jedenfalls bewegt sich die Stimme der meisten, die Dienst in der Funkzentrale schieben, irgendwo zwischen Überdruss und langsamem Tod. In Baltimore zumindest geht die Welt nicht mit einem Paukenschlag unter, sondern mit der trägen, abwesenden Gebrumm eines siebenundvierzig Jahre alten Beamten, der eine Funkstreife nach ihrem 10-20, ihrem Standort auf der Atomwolke, fragt und dem Vorgang dann eine siebenstellige Fallnummer gibt.
Garvey schaltet erneut das Mikro ein. »Ja, wir sind in Ihrem Bezirk, und wir brauchen ein paar Uniformierte für ’ne Drogenrazzia«, sagt er, »außerdem jemand vom Drogendezernat zur Calhoun, Ecke, äh, Lexington.«
»10-4, verstanden. Wann brauchen Sie die?«
Unglaublich. Garvey unterdrückt den Impuls zu fragen, ob das Wochenende nach Labor Day für alle Beteiligten recht wäre.
»Sobald wie möglich.«
»10-4. Was ist nochmal ihr 10-20?«
»Calhoun, Ecke Lexington.«
»10-4.«
Garvey steckt das Mikro wieder in die Metallhalterung und lehnt sich auf dem Fahrersitz zurück. Er schiebt die große Brille auf dem Nasenrücken hinunter und reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die dunkelbraunen Augen. Die Brille passt nicht zu ihm. Ohne sieht er aus wie ein Baltimore-Cop, mit wie der Vertreter, der er nach dem Willen seines Vaters hätte werden sollen.
Überhaupt sieht er aus wie
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